Das Herz der Ozeane - Honky Tonk Pirates ; Bd. 5
»Du kannst mir doch alles einfach erzählen.«
Hannah zog irritiert eine Braue hoch.
»Ich meine, wir bleiben ab jetzt doch immer zusammen.«
»Aha, ich verstehe!«, sagte sie leise und reckte dabei drohend ihr Kinn. »Du meinst, wir halten dann immer Händchen? Wir sind dann Herr und Frau Pirat? Wir stehen morgens zusammen auf. Wir gehen zusammen zur Arbeit. Wir finden alles toll, was wir machen, und setzen uns deshalb jeden Abend auf die Couch, bis wir vor Langeweile einschlafen.«
Doch Will hörte ihr schon längst nicht mehr zu. Er hatte die Hütte in der Felswand entdeckt. Sie ragte dort wie verwunschen aus einer Höhle heraus. »Aha, ich verstehe. Du hast die Hängematte da oben gefunden und vermutlich gibt es da noch einiges mehr. Wer hat da gelebt?« Er ließ Hannah stehen und kletterte die Leitern zur Hütte hinauf. »Beim heiligen Flitzfliegenschiss! Ich hab es geahnt: Das war das Nest von Whistle und Chen.«
Er stand im Eingang der Hütte und schaute in den komplett mit weichen Wolfs- und Bärenfellen ausgeschlagenen Raum. Kerzen brannten auf Bergen aus von ihren Vorgängerkerzen getropften Wachs und in der Mitte brannte ein Feuer.
»Hast du das alles für uns so hergerichtet?« Will drehte sich strahlend zu Hannah um.
»Für uns?« Hannah schüttelte ratlos den Kopf. »Das hab ich genauso vorgefunden wie du. Und wenn du dich an die Geschichte erinnerst, die Whistle uns auf dem Fest erzählt hat, dann würdest du das auch nicht als ›Nest‹ bezeichnen, sondern höchstens als Netz einer giftigen Spinne. Oder hast du vergessen, wie diese Herr-und-Frau-›Oh-wir-sind-doch-so-verknallt‹-Piratengeschichte ausgegangen ist?« Sie blitzte ihn an.
Doch Will strahlte nur mehr. »Und ob ich das weiß! Hannah, sie haben den Tanz mit dem Teufel gewagt. Sie haben sich dabei gegenseitig geholfen und danach den Bund geschlossen.«
Hannah zuckte zusammen, als ob sie Zahnschmerzen hätte. »Hör bitte auf. Ich habe dich bisher immer respektiert und geachtet. Ich bitte dich, Will!«
Sie flehte ihn an und Will stutzte tatsächlich.
»Was meinst du damit?«, fragte er sie, doch in Wirklichkeit hatte er dafür überhaupt keinen Kopf. Er war zu begeistert. »Hannah, sie haben Whistles Traum wahr werden lassen. Sie haben Libertaria gegründet und das werden wir auch …«
Hannah schnappte nach Luft. Sie hob drohend den Finger und wollte etwas sagen, doch Will kam ihr zuvor.
»Das willst du doch, oder irre ich mich?«
Er grinste sie an und als Hannah den Finger wieder senkte, als sie zischte und fauchte und die Augen verengte, lachte der Junge: »Ich hab es gewusst und das müssen wir feiern. Ich koch uns was Schönes, was hältst du davon?«
Hannah war sprachlos. Sie drehte sich einfach ratlos im Kreis und spürte die Träne in ihrem Auge. Eine einzige, einsame Träne der Trauer.
»Tja, dann tu das, zum Teufel, wenn du unbedingt willst.«
Sie strafte ihn noch einmal mit einem gehässigen Blick und stieg in die Felswand.
»Du kannst mich ja rufen, wenn’s dunkel wird. Dann komm ich, wenn ich noch da bin, auch ganz brav nach Hause.«
»Ja-mahn. Wo solltest du denn auch sein!«, antwortete Will und verschwand in der Hütte.
Dort fand er alles, was er brauchte. In Töpfen und Schüsseln wuchsen Gemüse und Kräuter und in einem Becken aus Quarz schwammen fette Red Snapper zwischen Baby-Calamares herum.
»Wow! Das ist ja perfekt!« Will zupfte Koriander. Er zog Kartoffeln und Möhren, fand Tomaten und Chili, ein paar Feigen und Datteln und sogar einen kleinen Olivenbaum. »Nein, das ist fast schon ein Wunder!« Will blickte um sich.
Oder ist es Magie? Wie hat das alles das Hochwasser überstanden?
Die Felle waren trocken und die Erde in den Töpfen nur ein bisschen feucht und gerade in dem Moment, als Will sich eine ölige Olive in den Mund schob, überkam ihn eine schreckliche Ahnung.
Nein!, dachte er und tat es dann doch.
Er dachte an die Maden der Hexe im Berg. Die konnten sich doch in alles verwandeln. Die hatten ihm in der Schatzkammer sogar das Gold vorgetäuscht. Will spuckte die halb zerkaute Olive sofort wieder aus und konnte den Würgereiz nicht mehr unterdrücken. Er sah das Gemüse jetzt mit ganz anderen Augen und anstatt der kleinen Calamares schwammen milchige Körper mit roten Köpfen im Becken aus Quarz.
»Mein Gott, ist das eklig!« Er würgte noch immer und spuckte nur Galle. »Ist hier denn überhaupt noch irgendetwas echt?«
»Oh«, seufzte die Hexe, »da bin ich aber beleidigt.
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