Das Herz der Ozeane - Honky Tonk Pirates ; Bd. 5
abrupt stehen.
»Wo ist eure Freude und wo bleibt euer Spaß? Ich sehe nur Leid und Enttäuschung und Tränen. Du hast geflennt, als wir dich gefangen haben und jetzt flennt Hannah da auf dem Schiff.«
Er führte Will zu einem Fenster und stach in die flüssige Membran, die sich in seinem Rahmen spannte.
»Und dort flennen eure Freunde. Kannst du sie sehen?«
Will sah den Schneesturm im Bild des Fensters. Er trieb den Dreispitz vor sich her. Dort waren seine Freunde, die er so liebte. Sie saßen alle reglos an Deck. Eine Eisschicht überzog ihre Kleider und Will dachte schon, sie wären tot … Da hob einer von ihnen ganz langsam den Kopf: Jo, sein Freund Jo, und Will erkannte die gefrorenen Tränen auf seinem ausdruckslosen Gesicht.
»Was hab ich gesagt? Sie jammern und heulen, als könnte nur das sie am Leben halten. Aber das stimmt nicht. Das ist ein Irrtum!«
Der Prinz lief einmal an den Wänden entlang und stach dabei in weitere Fenster. »Das ist der Beweis. Jammern hilft gar nichts!« Er zeigte auf eine der Membranen. »Die Sklaven haben auch geheult.«
Will erkannte die Verzweiflung in den Gesichtern der Afrikaner, als sich der Schlangenkopf aus dem Wasser erhob. Er stieg übers Heck bis auf die halbe Höhe der Masten und senkte den Kopf, bis man den Milbenhelm mit dem bunten Kanonenkranz sah. Dann erschien Gagga hinter ihm auf der Brücke, setzte sich eine Clownsnase auf – eine Nase, die ebenfalls aus kleinen Kanönchen bestand – und befahl seinen Männern zu feuern.
Dasselbe sah Will in den anderen Fenstern. Talleyrands Männer griffen mit ihren Schlangen die Küsten an und legten Dörfer und Städte in Asche. Danach tanzten sie, die ihre trostlosen Schleier gegen Karnevalskostüme aus Venedig eingetauscht hatten, wie farbenprächtige Schmetterlinge durch die Ruinen. Sie suchten nach Überlebenden und beschenkten die panischen Menschen mit Silber und Gold. Die konnten und wollten ihr Glück nicht begreifen. Und weil sie so dankbar waren, dass sie noch lebten, weil sie nicht sterben wollten, weil Gold doch so verlockend war und die Kostüme der Fremden so prächtig, nahmen sie die Geschenke an. Sie nahmen das Gold, die bunten Kittel und Waffen und schworen bei ihrem neuen Leben, das Werk, das Gagga begonnen hatte, ins Landesinnere zu tragen.
»Ha! Siehst du? Ha!«, triumphierte der Prinz und legte den Arm um Wills Schulter. »Ich mache sie glücklich! Ich lasse sie ihren Kummer vergessen. Sie tanzen und lachen und sie haben Spaß. Ja, weil sie jeden jagen, der anders ist. Der so ist wie ihr. Der leidet und heult und der zu allem Überfluss auch noch bereit ist, sein Glück für die Freiheit zu opfern.«
Er nahm Wills Gesicht in beide Hände.
»Los! Schau mich an. Piraten sind aus der Mode gekommen. Es gibt jetzt was Besseres. Es gibt jetzt die Gaggas , die Fou-Fous oder die Crazies . Welchen Namen findest du besser? Weißt du, ich bin nämlich Dichter. Ja, und Erfinder. Nein, ich kann zaubern. Ich habe die Bösen zu Guten gemacht. Wir stehen für Spaß, für Partys, das Lachen. Und weißt du, warum?«
Er tastete nach der bunten Kanönchennase, die er um den Hals trug und setzte sie auf.
»Bahm! Bahm! Bahm! Bahm! Weil Kaputtmachen schon immer lustiger war, als irgendwas aufzubauen. Kapierst du das, Will?«
Er tippte ihm auf die Nasenspitze.
»Willst du auch so ein feines Näschen haben?«
Er grinste verschmitzt und drehte sich dann zu dem Fenster in der Milbenstirn um. Dort sah man den Einbaum inzwischen von unten, als jagte man tief unter der Meeresoberfläche hinter ihm her.
»Oh, wir sind ja schon da. Wir haben sie eingeholt! Da ist er, dein Freund, der dir dein Mädchen nicht gönnt. Und da ist dieses Mädchen, das nicht an dich glaubt. Was meinst du, was sollen wir mit ihnen machen?«
Er musterte Will mit einem listigen Blick.
»Was meinst du, Pirat? Soll ich dich heulen lassen oder wollen wir Spaß haben und Schiffchen versenken?«
Er genoss es, die Eifersucht in Wills Augen zu sehen.
»Was meinst du, Pirat?«, fragte er neugierig nach, griff in seine Hosentasche, zog etwas heraus und legte es dann – wie ein Ass oder einen Trumpf beim Kartenspiel – vor Will auf den Tisch.
»Ich hab noch ein Näschen.« Er wippte ungeduldig mit den Füßen. »Komm, sei kein Frosch. Ich beginne, dich zu mögen. Du wärst ein viel besserer Partner als der langweilige Schwarze Baron.«
Will betrachtete die Nase, die auf dem Tisch lag.
»Wenn das kein Angebot ist!«, strahlte Prinz Gagga.
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