Das Herz der Ozeane - Honky Tonk Pirates ; Bd. 5
dem Frieden, der auf dieser Insel herrschte. Er wünschte sich nichts sehnlicher, als an diesem Ort zu leben. Doch er wollte, dass es einen solchen Ort nicht nur für ihn, sondern für alle Menschen gab. Deshalb sagte er: »Ja.«
»Ja«, nickte er, »das könnten wir tun. Wir könnten uns alle irgendwo verstecken. Und vielleicht hätten wir Glück. Vielleicht könnten wir für ein paar glückliche Jahre unbehelligt überleben. Vielleicht würdet ihr an so einem Ort sogar groß und alt. Doch spätestens euren Kindern würde es irgendwann dreckig ergehen. Sehr dreckig sogar. Denn das Böse braucht Futter. Es kann nur überleben, wenn es ständig wächst. Deshalb wird es nach euch suchen. Nach euch und den anderen und weil ihr euch nicht nur vor dem Bösen versteckt, sondern auch vor euren Freunden, denen ihr nicht helfen wollt, seid ihr allein. Euch wird niemand beistehen.«
Er schaute in die Gesichter der vierhundert Kinder.
»Doch wenn alle zusammenhalten, dann werdet ihr stark. So stark wie in Berlin, als ihr den französischen König und diesen Prinz Gagga am helllichten Tag nicht nur aus der Stadt, sondern auch noch unter den Augen ihrer eigenen Soldaten gekidnappt habt?«
Die Kinder begannen zu lächeln. Sie erinnerten sich an die Drachenreiter mit ihren bunten Segeln, auf denen Jo und die Triple Twins über die Dächer geflogen waren, um die Soldaten abzulenken.
»Das konnte uns nur gemeinsam gelingen. Genau, wie ihr Will und mich nur vom Galgen retten konntet, weil euch die Damen geholfen haben. Salome und Ophelia haben euch aus der Stadt gebracht und ohne die Erfindung vom braven Jo, ohne eure Drachenkajaks, hätten wir es nie bis hierher geschafft. Wir hätten den Fliegenden Rochen nicht gefunden, wir hätten unsere Freunde nicht retten können – und die wären jetzt alle tot: Will und Honky Tonk Hannah, Jo und die Damen, Blind Black Soul Whistle, der sein Herz wieder gefunden hat, um es für euch zu opfern, Feuerkopf Finn, Nat, ja und Rachel und Sarah, die euch in Berlin gefunden und um sich versammelt haben. Versteht ihr mich jetzt?«
Er musterte alle. Die Erinnerungen machten sie stolz. Doch bei allem Stolz wuchs auch ihre Furcht. Die Furcht vor der Aussichtslosigkeit ihres Kampfes.
»Ja«, meinte Moses, »mir geht es nicht besser. Ich hab sogar noch mehr Angst als ihr. Denn ich bin nicht sehr mutig und ich werde niemals ein Held sein. Nein, auf jeden Fall keiner, wie man ihn sich so vorstellt. So absolut unerschrocken und cool.«
Er lächelte zaghaft und sah das Verständnis in den Augen der Kinder.
»Aber ich weiß noch mehr: nämlich, dass es mich, wenn ich mich immer verstecke, irgendwann nicht mehr geben wird. Und wenn es mich nicht mehr gibt, dann kann ich auch niemandem helfen. Dann sterben meine Freunde allein und vergebens. Und mit ihnen stirbt der Traum von der Freiheit. Versteht ihr das nicht? Wenn man nur nachts und im Verborgenen träumt, können Träume nicht wahr werden. Sie brauchen Licht, um lebendig zu werden.«
Da liefen die Kinder ins Wasser, rissen die Nester von ihren Kajaks, warfen die Drachensegel in den Wind und folgten dem Rochen aufs offene Meer. Dorthin, wo – was sie allerdings noch nicht wissen konnten – die fünf Schlangen von Nassau jeden jagten, der so dachte und leben wollte wie sie.
Wie sie oder Salome und Ophelia auf dem vom Schneesturm umtobten Dreispitz. Oder war der Schnee schon die Gischt, die in der kalten Luft gefror? Auf jeden Fall ignorierten die Damen das Klappern ihrer vor Kälte zitternden Zähne, rafften sich auf, überwanden die Müdigkeit, die das Erfrieren gefährlich verführerisch machte, und begannen zu singen.
»Hey, hey! Hey, hoh!«, improvisierten sie aus dem Stehgreif, klatschten dabei in die tauben Hände, stampften mit den Füßen auf, und stießen und traten die Freunde.
»Hey, hey! Hey, hoh!
Reißt euch am Riemen!
Seid stolz auf euch, hoh!
So wie wir stolz auf uns sind,
Dass wir heut bei euch sind.
Hey, hey! Hey, hoh!
Denn ihr seid das Licht,
Das die Dunkelheit bricht
Und die Träume – hey, hoh!
Wahr werden lässt.«
Sie sangen und klatschten, stampften, stießen und traten und gaben nicht auf, bis selbst der Letzte mitsang. Ja, bis selbst Ratten-Eis-Fuß und Feuerkopf Finn am lautesten sangen, weil sie erkannten, dass sonst die ersten von ihnen erfrieren würden. Die kleinsten und schwächsten der roten Korsaren. Sie sangen und klatschten und dann stampften auch sie. Sie zogen die Kinder auf ihre Beine und lachten
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