Das Herz der Savanne - Afrika-Roman
ich will, und leben können, wie es mir gefällt, ohne anderen zu schaden.
Aber er wusste, dass dies nicht ging. Weil er schwarz war, würde er noch lange nicht lieben können, wen er wollte, und leben können, wie es ihm gefiel. Im Grunde wusste er, dass seine Liebe zu Ruth nur Bestand haben konnte, wenn er sich für die Rechte der Schwarzen einsetzte. Er hatte ihr versprechen müssen, dass er sich von allen politischen Aktivitäten zurückzog. Und er hatte es versprochen. Zweimal sogar. Einmal bei seinem Einzug auf Salden’s Hill und das zweite Mal bei Sallys Ankunft. Und er hatte immer gewusst, dass es schwer sein würde, dieses Versprechen einzuhalten. Erst wenn die Schwarzen ihre Rechte gegen das Apartheidregime durchgesetzt hatten, wäre eine Heirat mit Ruth vielleicht möglich.
Ruth würde das nicht verstehen und wäre enttäuscht, wenn er sein Versprächen bräche. Seine Mutter, sein Vater, seine Brüder und Freunde wiederum verstanden nicht, dass er noch immer auf ihrer Seite stand – auch wenn er jetzt mit Ruth zusammenlebte. Sie misstrauten ihm. Er sah es in den Augen des Vaters.
»Ich bin dein Sohn«, erwiderte er mit fester Stimme. »Und ich werde es bleiben, solange ich schwarz bin. Doch auch ich bin jetzt Vater. Der Vater eines Mischlings.«
»Stehst du noch zu unserer Sache?«
Horatio nickte. »Mehr denn je.«
»Bist du bereit, Aufgaben zu übernehmen?«
»Solange ich sie dort erfüllen kann, wo ich lebe, jederzeit.«
»Gut.« Der Vater und die übrigen Männer nickten.
»Wie viele unserer Leute gibt es auf der Farm?«
»Ungefähr vierzig.«
»Bei den Nachbarn?«
»Ebenso viele. Dazu kommen die Wanderarbeiter.«
»Gehörst du zu ihnen? Vertrauen sie dir?«
Horatio schüttelte den Kopf.
»Dann sorg dafür, dass sie dir vertrauen. Du weißt, was für den April geplant ist? Du kennst das Vorhaben von Sam Nujoma?«
Horatio nickte. »Er ist nach dem Dezemberaufstand des letzten Jahres verhaftet worden. Lebt er noch im Exil? Wo?«
Der Vater sah zu einem der Männer, die auf dem Boden hockten. Der schüttelte den Kopf. »Das musst du nicht wissen. Er ist der Vorsitzende der Ovamboland People’s Organization, und das wird er bleiben, ganz gleich, wo er sich aufhält. Deine Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass die Schwarzen um Gobabis dir vertrauen, dass sie in dir den Verbindungsmann zur Organisation sehen. Geh zu ihnen, sprich zu ihnen, tu, was du in der OPO gelernt hast.«
Fünfzehntes Kapitel
H oratio sah auf den Kilometerzähler. Noch sechzig Meilen bis Salden’s Hill. Der Himmel hing wolkenlos über ihm, weit, so weit, dass seine Augen ihn nicht erfassen konnten. Noch immer war Horatio erstaunt über die Weite des Himmels, ja, des ganzen Landes. Am Horizont zeichneten sich Berge ab. Klar wie mit einem Diamanten geschnitten ragten sie in die Höhe. Waren es bis dorthin dreißig Meilen oder sechzig oder gar hundert? Horatio hätte es nicht abschätzen können.
Mittlerweile wusste er aber, dass die Bergkette ungefähr siebzig Meilen entfernt war. Die Straße schlängelte sich beinahe kurvenlos bis dorthin. Keine Baumgruppe, so weit das Auge reichte, keine Behausungen, nur ein paar vereinzelte Granitbrocken, ein paar Sträucher zwischen blaugrauem Steppengras, Termitenhügeln und dem endlosen roten Sand der Kalahari.
Durch das offene Fenster drang der Geruch von Staub, von erhitztem Sand und versengter Vegetation. Einige Aasgeier kreisten ein Stück entfernt über der Wüste. Sicherlich lag dort ein Tier im Sterben. Die Geier warteten hoch oben in der Luft auf den letzten Atemzug, um sich dann auf das noch warme Fleisch zu stürzen, die Krallen hineinzuschlagen, die Schnäbel in die Augen zu hacken. Schakale und Löffelhunde würden die übrigen Knochen in wenigen Tagen in der Wüste verstreuen, Hyänen kommen, um sich ihren Teil an dem Kadaver zu sichern.
Hier draußen, so nah an der Wildnis, schien tatsächlich bisweilen die Zeit stehen geblieben zu sein. Seit Jahrhunderten taten die Tiere, was sie tun mussten. Es interessierte sie nicht, dass die Menschen mittlerweile Autos und Telefone erfunden hatten oder dass Schwarze von Weißen unterdrückt wurden.
Horatio war unruhig. Schon in einer Stunde wäre es auf der Schotterpad stockdunkel. Er wäre bei Gott nicht der Erste, der in der Finsternis von der Straße abkam und im Wüstensand stecken blieb. Eigentlich sollte er sich ein Nachtlager suchen. Aber die Sehnsucht nach Ruth und nach seiner kleinen Tochter Sally war einfach zu
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