Das Herz des Bösen: Roman (German Edition)
verdrängen, den ihr eine leise Stimme ins Ohr flüsterte: besser nie als zu spät …
»Henry? Bleib, wo du bist. Ich ruf dich gleich noch mal vom Festnetz an«, sagte Jennifer und folgte den anderen in das Häuschen.
»Sie können das Telefon da drüben benutzen.« Carolyn wies auf die Wand, wo auf einem wackeligen Beistelltisch zwischen zwei türkisfarbenen Clubsesseln ein altmodisches schwarzes Telefon stand. Carolyn ging hinter den Empfangstresen, trank einen großen Schluck von ihrem Kaffee und beobachtete sie weiter misstrauisch, während sie so tat, als würde sie irgendwelche Papiere durchsehen. Wahrscheinlich machte sie sich immer noch Sorgen wegen möglicher Schadensersatzansprüche gegen den Campingplatz, falls es zu einem Gerichtsverfahren kommen sollte.
Jennifer wählte Henrys Nummer, die sie inzwischen auswendig kannte. Er nahm sofort ab. »Henry, ich bin’s wieder, Jennifer.«
»Sagen Sie ihm, Brianne wird vermisst«, wies Val sie an und blickte verstohlen zu Carolyn Murray.
Jennifer nickte. »Sie kennen ja die Tochter meiner Freundin«, begann sie und stolperte nur kurz über das Wort »Freundin«, »das Mädchen, das Sie gestern Abend zurück zum Zeltplatz begleitet haben. Genau die.«
»Was sagt er?«, fragte Val.
Jennifer legte die Hand auf die Sprechmuschel. »Er erinnert sich an sie.« Rasch setzte sie Henry über die Ereignisse der vergangenen Nacht in Kenntnis und räumte ein, dass Brianne auch mit Tyler weggefahren sein könnte und womöglich gar nicht mehr in der Gegend war. »Was für einen Wagen fährt er?«, wiederholte sie Henrys Frage für Val.
»Einen schwarzen Honda«, antwortete Gary, bevor Val etwas sagen konnte. »Einen Civic. Hayden hat gesagt, er ist mindestens zehn Jahre alt.«
»Hat er zufällig das Kennzeichen lesen können?«, wiederholte Jennifer Henrys nächste Frage wortgetreu.
Gary schüttelte den Kopf.
Jennifer gab die Information an den Ranger weiter. »Wirklich? Sofort? Okay. Okay, ja. Vielen herzlichen Dank.« Sie legte den Hörer wieder auf die Gabel.
»Er hat gesagt, er würde sofort die Zentrale informieren, dass Brianne vermisst wird, und ihnen eine Personenbeschreibung und so weiter durchtelefonieren. Er hat gesagt, wir sollten zurück zum Zeltplatz gehen und warten, falls sie von sich aus zurückkommt, und er schickt ein paar Ranger vorbei, die uns wegen Tyler und dem Wagen und allem befragen. Wahrscheinlich geben sie eine Suchmeldung für den Wagen raus, und in der Zwischenzeit macht er sich schon mal selbst auf die Suche, obwohl heute sein freier Tag ist. Das ist also schon mal gut. Zumindest haben wir den Ball ins Rollen gebracht.«
Val nickte dankbar und spürte, wie ihre Knie nachgaben. Gary fing sie gerade noch rechtzeitig auf. Im nächsten Moment wurde sie von allen umringt.
»Mein Gott? Bist du okay?«, fragte James.
»Können wir bitte ein bisschen Wasser haben?«, sagte Melissa.
»Was ist passiert?«, fragte Jennifer. »Ist sie ohnmächtig geworden?«
»Nicht ganz. Aber fast«, sagte Val, die sich mit aller Kraft mühte, bei Bewusstsein zu bleiben.
»Hier ist Wasser.« Carolyn Murray drängte sich in die Mitte der Gruppe. »Sie müssen der armen Frau ein bisschen Platz und Luft zum Atmen lassen. Sie haben sich doch nicht den Kopf gestoßen, oder?«
»Nein.«
»Sie haben eine Verzichtserklärung unterschrieben …«, erinnerte Carolyn sie.
»Ich werde Sie nicht verklagen«, sagte Val heftig und trank ein paar kleine Schlucke Wasser. »Ich bin bloß ein bisschen wackelig auf den Beinen.«
»Verständlich«, sagte Melissa.
»Wir haben letzte Nacht nicht viel geschlafen«, erklärte James.
»Denkst du, du kannst aufstehen?«, fragte Gary.
»Ich glaube schon.«
Er half Val auf die Füße. »Lass dir Zeit.«
»Es tut mir so leid«, flüsterte Val, lehnte sich an ihn und spürte, wie er erst erstarrte und sich dann von ihr löste.
»Ich weiß.«
»Ich fühle mich schuldig.«
»Nichts von alldem ist deine Schuld, Val.«
Val seufzte. Aber sie wusste, dass er ihr trotzdem Vorwürfe machte. Sie verstand seinen Zorn sogar und war sich sicher, dass es ihr umgekehrt genauso gehen würde. Sein Sohn war verletzt worden. Ihre Tochter war zwar nicht für die Schläge verantwortlich, aber zumindest an der Sache beteiligt gewesen. Gary hatte alles Recht, wütend zu sein.
»Haben Sie etwas dagegen, wenn ich von Ihrem Telefon einen Anruf nach New York mache?«, fragte Jennifer die Managerin des Campingplatzes. »Ein R-Gespräch.«
Carolyn
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