Das Herz des Bösen: Roman (German Edition)
zu großen Teilen ihrer Mutter zu verdanken.
Und auch wenn Val erkannte, dass sie sie vielleicht nicht retten konnte – letztendlich war ihre Mutter die Einzige, die das konnte –, war sie auch nicht länger bereit, die Frau einfach kampflos aufzugeben.
Ehemänner waren notorisch unzuverlässig, dachte sie und sah Evan vor sich. Männer kamen und gingen, dachte sie und sah Gary vor sich. Mütter waren immer Mütter.
Konnte sie ihre Mutter irgendwie überzeugen, sich die Hilfe zu holen, die sie brauchte? Und konnte sie, wenn ihre Mutter sich weigerte, möglicherweise lernen, sie zu akzeptieren, wie sie war, und sie trotzdem lieben? Es war so leicht gewesen, einfach dazusitzen und sich selber leidzutun, ihre Mutter einfach aufzugeben und in die andere Richtung zu schauen.
»Ich liebe dich, Mom.«
»Ich liebe dich auch, mein Schatz.«
Val beschloss, sofort nach ihrer Rückkehr Kontakt mit Al-Anon aufzunehmen.
Das war ihr Geburtstagsgeschenk an sich selbst.
Jennifer ließ den Zettel sinken und schloss die Augen. Trotzdem sah sie die in sorgfältiger Handschrift notierte Nachricht noch vor sich, die ihr die Frau am Empfang des Hotels überreicht hatte. »Mr Rowe hat heute früh angerufen«, hatte sie erklärt. »Er hat gesagt, dass er Sie auf Ihrem Handy nicht erreichen konnte und dass Sie womöglich hier nachfragen würden, ob er sich gemeldet hat. Ich musste die Nachricht Wort für Wort notieren und ihm dann noch einmal vorlesen.« Lächelnd hatte sie Jennifer Evans kurze Notiz in die Hand gedrückt.
Tut mir schrecklich leid, Jen , lautete die Botschaft. Ich werde es wohl doch nicht mehr schaffen. Nichts ist gelaufen wie geplant, und ich hoffe, es war nicht zu schrecklich für dich. Ich verspreche dir, ich mache es wieder gut. Dieses Rund-um-die-Uhr-Schuften geht mir auf die Nerven. Zum Glück bin ich fast fertig. Heute bin ich noch einmal den ganzen Tag in Meetings, aber ich bin wild entschlossen, den Deal niet- und nagelfest und wasserdicht zu machen. Das heißt, du kannst mich leider nicht erreichen. Also entspann dich einfach und genieße die frische Bergluft, und wir sehen uns dann, wenn du heute Abend zurück in der Stadt bist. Ich liebe dich, Evan .
Jennifer schüttelte den Kopf. Zum Glück , wiederholte sie stumm seine Worte, musstest du dich nicht von deinem wichtigen Meeting loseisen und den ganzen Weg bis hierherfahren, um Leichenteile deiner Tochter, deiner Exfrau und deiner Verlobten zu identifizieren, vorausgesetzt, du könntest sie voneinander unterscheiden.
Zum Glück sind wir alle am Leben. Und das haben wir bestimmt nicht dir zu verdanken. Das ist die gute Nachricht. Und ich hatte für mein ganzes Leben lang genug frische Bergluft, vielen Dank. Ich will einfach nur nach Hause.
Wenn sie zurück war, würde sie ihre Schwester anrufen und sehen, ob sie nicht irgendwie wieder zueinander finden und gemeinsam entscheiden konnten, wie sie sich am besten um ihren Vater kümmerten. Vielleicht war das nicht möglich. Vielleicht aber doch. Sie musste es zumindest versuchen.
Sie streckte die Hand aus und tätschelte Vals Schulter. »Sie sagen Bescheid, wenn ich mal für eine Weile übernehmen soll.«
»Danke. Mir geht es gut.« Val lächelte in den Rückspiegel.
Jennifer erwiderte ihr Lächeln. »Ich weiß.«
Es war kurz nach drei, als sie Manhattan erreichten.
»Nur noch ein paar Blocks«, sagte Jennifer und wies Val an, rechts und noch mal rechts abzubiegen. »Da. Das Haus dort drüben.« Sie wies auf ein fünfzehnstöckiges, weißes Backsteingebäude an der Südwestecke einer von Bäumen gesäumten Straße. Vor dem Eingang wartete ein uniformierter Türmann. » Home. Sweet home .«
»Mama«, sagte Brianne, während Val beobachtete, wie Jennifer ihre unfassbar langen Beine aus dem Wagen streckte, ohne dass Val sie sich sofort um Evans Hals geschlungen vorstellen musste. »Guck mal. Da drüben.« Auf der anderen Straßenseite parkte in mindestens einem Meter Abstand vom Bordstein ein orangefarbener Mustang. »Ist das nicht Sashas Auto?«
»Scheiße«, murmelte Val, und die Teile eines vertrauten Puzzles fügten sich mit einem Mal zu einem Bild, während Jennifer ihre Reisetasche aus dem Kofferraum holte. »Jennifer, warte.« Val stieg eilig aus. Du Wichser, dachte sie, während ihr Blick an der weißen Backsteinfassade des Gebäudes hinaufwanderte. Du verlogener, selbstsüchtiger, egoistischer Wichser. Du kannst einfach nicht anders, was?
»Stimmt irgendwas nicht?«
Val suchte nach Worten,
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