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Das Herz des Bösen: Roman (German Edition)

Das Herz des Bösen: Roman (German Edition)

Titel: Das Herz des Bösen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joy Fielding
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Scheiße, Scheiße ! »Was machst du hier?«
    »Ich konnte nicht schlafen. Im Zelt kriegt man irgendwie Platzangst, findest du nicht?«
    Brianne zuckte die Achseln. Sie hatte nie Probleme mit beengten Räumen gehabt.
    »Ich mag nirgendwo sein, wo ich nicht aufrecht stehen kann«, fuhr Jennifer fort. »In Tunneln schlage ich mich ganz gut, solange man nicht in die Hocke muss. Ich hab auch keine Probleme mit Aufzügen. Einmal bin ich sogar in einem stecken geblieben. In New York. Zwischen der zweiunddreißigsten und dreiunddreißigsten Etage, in dem Gebäude der William Morris Agency in der Avenue of the Americas. Kennst du das?«, fragte sie und redete weiter, bevor Brianne antworten konnte, dass sie nicht nur das Gebäude nicht kannte, sondern auch nicht das geringste Interesse an Jennifers Geschichte hatte. »Also, ich hatte da ein Meeting. Es war kurz nach dem Firmenzusammenschluss, und es gab Überlegungen, eine Kampagne zu starten … wie auch immer, das spielt ja auch keine Rolle.«
    Garantiert nicht, dachte Brianne.
    »Ich war also mit etwa einem halben Dutzend Leute in dieser Fahrstuhlkabine, und alles war bestens. Drei Leute sind ausgestiegen, ein paar andere eingestiegen. Und plötzlich fängt das blöde Ding an zu ruckeln und bleibt stehen. Und wir stecken fest. Zu viert. In diesem alten Fahrstuhl. Und das für fast eine Stunde. Und einer der Typen ist regelrecht ausgeflippt. Ich meine, er hat geschwitzt und die ganze Zeit gebrüllt. ›Lasst mich hier raus. Lasst mich hier raus.‹ Wir konnten ihn beruhigen, aber es war heiß in der Kabine, es war Sommer, und die Klimaanlage funktionierte nicht, und die anderen Leute in dem Lift wurden auch immer unruhiger. Mir ging es zum Glück gut, absolut bestens.«
    »Wow, echt krass«, sagte Brianne ausdruckslos.
    Jennifer nickte. »Und trotzdem, wenn ich irgendwo sein muss, wo ich nicht aufrecht stehen kann, in einer Höhle oder so. Oder in diesem blöden Zelt«, sagte sie und schlug mit der Hand danach, während sich ihre Stimmer verlor. »Mir war nicht klar, dass Zelte so beengend sind. Dir?«
    »Es ist ein Zelt«, antwortete Brianne, als ob das Erklärung genug wäre.
    »Ich hab mal einen Film gesehen. Über ein Mädchen, das in einer Höhle unter der Erde gefangen gehalten wurde, und um zu entkommen, musste sie durch einen langen Tunnel kriechen. Hin und wieder kam sie an eine Stelle, wo sie so eben aufrecht sitzen konnte, aber mehr nicht, sie konnte nie richtig aufstehen. Als ich das gesehen habe, bin ich total ausgerastet. Ich musste das Kino verlassen. Ich möchte sterben, hab ich gedacht.«
    Gute Idee, dachte Brianne und sah verstohlen auf die Uhr. In zwanzig Minuten war es Mitternacht.
    »Oder zu Zeiten der alten Römer …«
    »Boah!«, bremste Brianne sie. »Ich hab verstanden. Du magst nirgendwo sein, wo du nicht aufrecht stehen kannst.«
    »Als meine Mutter krank war«, fuhr Jennifer fort, die Briannes Desinteresse entweder nicht bemerkte oder nicht beachtete, »musste sie eine Kernspintomographie machen. Weißt du, was das ist?«
    Brianne nickte. Sie hatte genug Wiederholungen von Emergency Room und House gesehen, um die Apparate selbst bedienen zu können.
    »Na ja, also das musste meine Mutter machen. Und wie du weißt, wird man in diese Röhre geschoben …«
    »Ich weiß.«
    »Und als sie so dalag auf dem schmalen Tisch und von diesem schrecklichen Ding verschluckt werden sollte, dachte ich …«
    »… Ich will sterben«, sagte Brianne.
    »Ich dachte, dass sie schreckliche Angst haben muss.« Plötzlich kullerten Tränen über Jennifers Wangen. »So eingesperrt und hilflos und mit dem Wissen, dass sie sterben wird und dass man nichts dagegen machen kann.«
    Brianne war ein paar Sekunden lang ganz still und fragte sich, was zum Teufel sie tun sollte. In weniger als zwanzig Minuten war sie mit Tyler am Eingang des Campingplatzes verabredet und steckte hier mit Miss Weltschmerz fest. »Nun, war wirklich nett, mit dir zu reden«, sagte sie und klappte den Eingang des Zeltes hinter sich auf, »aber ich glaub, ich versuch jetzt, ein bisschen zu schlafen.«
    »Tut mir leid. Warst du nicht auf dem Weg zum Klo?«
    »Jetzt muss ich nicht mehr.« Brianne war schon wieder halb im Zelt. »Es wird ziemlich kühl hier draußen. Meinst du nicht, du solltest wenigstens versuchen zu schlafen?«
    »Ich glaub, ich kann nicht.«
    »Ich denke, du solltest es versuchen. Wenn du die Augen zumachst, vergisst du vielleicht all deine Phobien.«
    Jennifer rührte sich nicht.

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