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Das Herz des Drachen

Das Herz des Drachen

Titel: Das Herz des Drachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Keith R. A. DeCandido
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benutzte er das Telefon in seinem Büro kaum. Er sprach lieber selbst mit den Studenten – während seiner Bürozeiten, die auf einem Stück Papier standen, das am Schwarzen Brett hing. Oder vor und nach den Vorlesungen.
    Jetzt bekam er seine Studenten nur noch äußerst selten zu Gesicht. Alles lief über E-Mail oder SMS oder Internet Chats oder Mobiltelefone. Er hatte sein Bürotelefon sogar auf sein Treo umgeleitet. Er verbrachte heutzutage sowieso wenig Zeit in seinem Büro.
    In seinem Alter und nach seiner langen Dienstzeit hatte er weniger Kurse als früher. Er entspannte sich in seiner Freizeit. Manchmal überquerte er die Bay Bridge nach San Francisco und sah sich die Lichter der Stadt an, oder er spazierte durch die Buchläden mit Mängelexemplaren in Berkeley.
    Wenn ein Student mit ihm reden wollte, lief das Gespräch direkt in seiner Tasche auf.
    Anders als viele seiner Zeitgenossen – die darüber schimpften und stöhnten – fand Marcus es so besser.
    Am besten war Doktor Wu.
    „Die können mich jetzt jederzeit anrufen. Was, wenn ich nicht mit ihnen reden will?“
    Marcus’ Antwort blieb immer dieselbe.
    „Das Handy hat einen Aus-Knopf. Benutzen Sie ihn – ich mache es so. Wenn ich nicht erreicht werden will, kann ich das Ding ausschalten. Dann können die Anrufer sich die Zähne an der Mailbox ausbeißen.“
    Er unterwarf sich – oder seine Studenten – nicht gern der Tyrannei der Bürozeiten. So viele Probleme, die vor zwanzig Jahren ins Chaos geführt hätten, gab es gar nicht erst, weil die Studenten besseren Zugang zu ihren Professoren hatten.
    Sein Treo war in der Tasche seiner Jeansjacke gewesen, als er den Herzanfall bekommen hatte. Das bedeutete, er war immer noch auf der Lehne des rissigen Lederstuhls, wo er die Jacke hingeworfen hatte. Sein Laptop stand immer noch auf dem Schreibtisch. Ohne eines davon konnte er unmöglich seine Mails checken – obwohl ihm die Krankenschwester versichert hatte, dass es im Krankenhaus WLAN gab.
    Trotzdem konnte er mit dem Festnetztelefon neben seinem Bett zumindest seine Mailbox abhören. Also gab er der Versuchung nach und wählte die Nummer.
    Er hatte sechs Nachrichten und griff nach Papier und Stift.
    Die ersten drei waren von seinen Studenten mit verschiedenen Anliegen, die alle Zeit hatten, bis er aus dem Krankenhaus entlassen wurde. Trotzdem schrieb er sich ihre Nummern auf, sodass er sie wissen lassen konnte, dass es länger als ein, zwei Tage mit der Antwort dauern würde – und das aus gutem Grund. Wie er den Campus-Tratsch kannte, erwartete er, dass sie bereits Bescheid wussten. Marcus zog allerdings eine persönlichere Note vor.
    Die nächste Nachricht war von seinem Neffen, und Marcus war versucht, sie zu löschen, ohne sie anzuhören.
    „Yo, Onk, so’n weißer Kerl hat dich gesucht. Sagte, er hat ’nen Freund von dir in Chinatown getroffen oder so. Hat mir ’n Bier ausgegeben, also hab ich ihm gesagt, dass du an der Hippie-Uni arbeitest. Wollte dir nur Bescheid sagen, yo. Peace!“
    Marcus seufzte. Wenigstens bat er ihn dieses Mal nicht um Geld.
    Die letzte Nachricht kam von einer ihm unbekannten Stimme.
    „Hi, Professor, hier ist Sam Winchester. Mein Bruder Dean und ich sind in San Francisco. Ich glaube, Sie haben vor zwanzig Jahren unseren Vater, John Winchester, kennengelernt, und ich glaube, Sie kennen auch Bobby Singer. Wir sind hier, weil wir glauben, dass das Herz des Drachen zurück ist, und wir brauchen ihre Hilfe. Wenn Sie mich zurückrufen könnten, wäre das toll.“ Dann gab er ihm eine Nummer mit einer 785er Vorwahl. Das Gespräch endete und Marcus starrte den Hörer an.
    „Verdammte Scheiße.“
    Er fand es schwer zu glauben, dass es bereits zwanzig Jahre her war, dass ein Furcht einflößender und angespannter John Winchester in sein Büro gestürmt war. Er hatte sich über das Hakenschwert beklagt, dass er John Bartow überlassen hatte. Marcus hatte gedacht, dass der Kerl ihm den Kopf abschlagen würde. Es hörte sich so an, als wäre sein Sohn erheblich netter. Wenigstens war er weitaus höflicher.
    Aber dieser Gedanke wurde durch einen anderen, Unheil verkündenden, ausgelöscht.
    Wenn Doragon Kokoro zurück war, würde die Hölle losbrechen. Also las er Sam Winchesters Nummer von seinem Notizblock ab und rief ihn zurück.
    „Hallo?“ Es war die gleiche Stimme, aber jetzt klang sie etwas außer Atem.
    „Sam Winchester? Hier ist Marcus Wallace.“
    „Oh, hi, Professor. Können Sie eine Sekunde

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