Das Herz des Jägers
Stirn. Radebe nahm eine Serviette und wischte sie ab.
»Niemanden?«
»Meine Oma hat in Port Elizabeth gewohnt, aber sie ist tot.«
»Hast du noch Onkel oder Tanten?«
»Nein. Nur Thobela und meine Mutter. Thobela sagt, es gibt Delphine in Port Elizabeth, er will sie uns Ende des Jahres zeigen.«
»Oh.«
»Ich weiß, wo Lusaka ist. Du auch?«
»Ich auch.«
»Thobela hat es mir im Atlas gezeigt. Weißt du, daß Thobela der klügste Mann auf der ganzen Welt ist?«
|293| 32
Luke Powells offizielle Berufsbezeichnung lautete: ökonomischer Attaché des amerikanischen Konsulats Kapstadt.
Aber seine tatsächlichen Aufgaben hatten, wie alle in Geheimdienstkreisen genau wußten, nur wenig mit der Ökonomie zu tun. In Wirklichkeit stand er als Senior Special Agent für das südliche Afrika – was alles unterhalb der Sahara einschloß – im Dienste der CIA.
In der politisch korrekten Terminologie seines Landes war Luke Powell ein Afro-Amerikaner, ein freundlicher, etwas dicklicher Mann mit einem runden, netten Gesicht, der eine große Brille mit Goldrand trug, die vor etwa zehn Jahren aus der Mode gekommen war. Er war nicht mehr länger jung, an seinen Schläfen zeigte sich Grau, und sein Akzent klang schwer nach Mississippi.
»Ich nehm ein Cheddamelt mit Fritten«, sagte Powell zu dem jungen Kellner mit dem Pickel-Problem.
»Wie bitte?« fragte der Kellner.
»Ein Cheddamelt-Steak, durch. Und
Fritten
.«
Der Kellner legte die Stirn in Falten. Jedes Jahr wurden sie jünger. Und dümmer, dachte Janina Mentz. »Pommes frites«, erklärte sie.
»Sie wollen nur Pommes?« fragte der Kellner sie.
»Nein, ich will nur einen Orangensaft. Der Herr möchte ein Steak und Pommes. Amerikaner nennen Pommes Fritten.«
»Oh«, sagte der Kellner.
»Ich nehme nur einen Teller Salat«, sagte der Direktor.
»In Ordnung«, sagte der Kellner erleichtert, schrieb etwas auf und ging dann, als keiner mehr etwas sagte.
»Wie geht es Ihnen allen?« fragte Luke Powell strahlend.
»Nicht schlecht für ein unterentwickeltes Land der Dritten Welt«, erwiderte Janina. Sie öffnete ihre Handtasche, nahm ein Foto heraus und reichte es Powell.
»Kommen wir gleich zur Sache, Mr. Powell«, sagte sie.
|294| »Bitte«, sagte er. »Nennen Sie mich Luke.«
Der Amerikaner nahm das Schwarzweißfoto. Er sah darauf die Eingangstür des amerikanischen Konsulates und das unverkennbare Gesicht Johnny Kleintjes, der das Gebäude verließ.
Powell nahm seine Goldrandbrille ab und klopfte damit auf das Foto. »Haben wir bei dieser Sache vielleicht gemeinsame Interessen?«
»Vielleicht«, sagte der Direktor sanft.
Dieser Amerikaner ist wirklich gut, dachte Janina Mentz. Seine blitzschnelle Reaktion auf die Veränderungen, sein Pokerface.
Ein unschuldiger sechsjähriger Junge aus Guguletu wurde zu einer Spielfigur bei der landesweiten Suche nach Thobela Mpayipheli, dem flüchtigen Motorradfahrer, den der Geheimdienst, das Militär und die Polizei suchen.
»Das ist gut«, sagte der Nachrichtenchef, der nervös hinter Allison auf und ab lief, da der Redaktionsschluß immer näher rückte.
Pakamile Nzululwazi wurde spät am gestrigen Abend von einem offiziellen Mitarbeiter des Verteidigungsministeriums aus seinem Kindergarten abgeholt. Er ist der Sohn von Mpayiphelis Lebensgefährtin, Miriam Nzululwazi, die ihrerseits unter mysteriösen Umständen aus der Zweigstelle Heerengracht der Absa-Bank verschwand, wo sie angestellt ist.
»Ja, weiter so«, sagte der Nachrichtenchef, und sie wünschte nur, er würde sich endlich hinsetzen, damit sie sich in Ruhe konzentrieren konnte.
»Was ist in Lusaka passiert?« fragte Janina Mentz.
Luke Powell schaute sie an, dann sah er den Direktor an, schließlich setzte er seine Brille wieder auf.
|295| Was für ein merkwürdiges Spiel, dachte Janina. Er wußte, daß sie es wußten, und sie wußten, daß er wußte, daß sie es wußten.
»Das versuchen wir immer noch herauszubekommen«, antwortete Powell.
»Sie wurden reingelegt?«
Luke Powells freundliches Gesicht verriet nichts von seinem inneren Kampf, von der Demütigung, zuzugeben, daß eine kleine Afrika-Expedition der großen Supermacht schiefgegangen war. Wie immer war er ganz Profi.
»Ja, wir wurden reingelegt«, erklärte er gleichmütig.
Sie saßen im Kreis im Gras und redeten miteinander, die vier Soldaten, der Pilot und der Co-Pilot.
Thobela war erleichtert, weil sie nun etwas weiter von ihm entfernt waren. Er konnte ihre
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