Das Herz des Loewen
starb, musste sie ihm noch verraten, wo sich ihre Schwester versteckte. Dieses Geheimnis würde er ihr sicher entlocken -vielleicht, indem er ihr versprach, sie vor Carmichaels Rache zu schützen.
8. KAPITEL
Eine Stunde später, kurz vor dem Abendessen, betrat Megan wieder die Halle. Sie wirkte angespannt und geistesabwesend.
„Was bedrückt dich denn?“, fragte Chrissy.
Beinahe hätte Megan ihrer Cousine von der Schatzhöhle und den neuen Schwierigkeiten erzählt. Aber ein Blick in Chrissys Gesicht belehrte sie eines Besseren. Schwere Schicksalsschläge zeichneten die einst so hübschen, jugendfrischen Züge. In ihrer unglücklichen Ehe und durch den Tod zweier Kinder hatte die Ärmste wahrlich genug gelitten. Und es widerstrebte Megan, andere mit ihren eigenen Sorgen zu belasten. „Ich bin nur unruhig.“
„Reg dich nicht auf“, wisperte Chrissy, während sie zwischen den Tischen zu Lady Marys Tafel gingen. „Wahrscheinlich hat dein Verlobter die Sandflöhe längst vergessen.“
Auch Megan dachte nicht mehr daran. Die Begegnung am Strand schien eine halbe Ewigkeit zurückzuliegen, und Ross’ Zorn über die Flöhe kam ihr lächerlich vor, angesichts der Gefahren, die ihnen jetzt drohten. Mit ihrem Versuch, den Vater zu sprechen, hatte sie die Situation noch verschärft. „Hoffentlich verzeiht er mir alles, was ich heute angestellt habe.“ „Nun, wie hast du diesen Tag verbracht?“, fragte die Mutter, als Megan ihren Platz an der Tafel einnahm.
„Sehr angenehm“, entgegnete Megan, voller Stolz auf ihre Selbstkontrolle. Ihre Stimme zitterte kein bisschen. „Und du?“ „Ich habe Hochzeitsvorbereitungen getroffen.“ Seufzend blickte sich Lady Mary in der stickigen, von lebhaftem Stimmengewirr erfüllten Halle um. „Es war ein erfreulicher Tag.“ Bestürzt erkannte Megan, dass die Mutter ebenfalls log. Nicht zum ersten Mal saßen sie bei einer Mahlzeit oder Handarbeit zusammen und suchten einander zu täuschen. Es waren keine bösartigen Lügen, nur Halbwahrheiten, die erfunden wurden, um schmerzlichen Themen auszuweichen.
„Es ist mir gleichgültig, dass dein Vater sich eine Geliebte hält“, pflegte Lady Mary zu betonen, obwohl ihre Augen die Seelenqualen nur zu deutlich zeigten.
„Mir genügt es vollauf, unserem Clan als Seanachaidh zu dienen“, hatte Megan mehrmals behauptet. „Deshalb brauche ich weder einen Ehemann noch Kinder.“ Aber wann immer sie einer Mutter während der Niederkunft beistand und ein Neugeborenes im Arm hielt, tat ihr das Herz weh. Diese kleinen barmherzigen Lügen belasteten ihr Gewissen nicht. Warum sollte sie Mama Kummer bereiten und zugeben, dass ihr lahmes Bein schmerzte. Oder sie sagte sich: Mama wird traurig sein, wenn ich ihr gestehe, wie sehr ich Papa vermisse. Und so verbarg sie ihren Gram.
Aber nun überlegte sie plötzlich, ob es nicht verwerflich war, ein gemeinsames Leben auf gegenseitigen Lügen zu gründen. „Hast du von unserer Begegnung mit Felis gehört?“, fragte sie rundheraus.
„Megan!“ Entsetzt presste Lady Mary eine Hand auf ihr Herz. „Sprich den Namen dieser Dime nicht in meiner Gegenwart aus!“
„Aber sie ist nun mal da“, erwiderte Megan sanft. „Vielleicht - wenn wir über sie reden, über die Dinge, die seit ihrer Ankunft geschehen sind ... “
„Du glaubst, ich hätte den Laird in ihre Arme getrieben.“ Lady Marys Unterlippe bebte. „Sicher, du hast ihn stets vergöttert und mich kühl und steif gefunden. Aber du weißt nicht, wie schwer es mir fiel, meine vertraute Umgebung zu verlassen und hierherzuziehen. Damals war Curthill noch primitiver als jetzt, von halbwilden Rüpeln bevölkert. In dieser Burg gab es keine Frauen, mit denen ich reden konnte, nur Männer, die fürs Fischen und Jagen und Kämpfen lebten. Nachts liebte mich dein Vater, tagsüber schenkte er mir keine Beachtung. Wenn meine Empfindungen erkaltet sind, dann nur deshalb, weil er das Feuer in mir nicht geschürt hat.“
„Oh Mama!“, rief Megan, erschrocken über diesen Gefühlsausbruch. Um nichts auf der Welt mochte sie eingestehen, dass sie der Mutter tatsächlich die Schuld an der ehelichen Entfremdung gegeben hatte. „Ich weiß sehr gut, wie grässlich Papa sich manchmal aufführt.“
„Grässlich? Sogar an den seltenen Abenden, als er noch herunterzukommen geruhte, schaute er durch mich hindurch, als würde ich nicht existieren.“
Wie gern hätte Megan ihre Mutter umarmt und beteuert, alles würde sich zum Guten wenden. Doch das
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