Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Herz des Menschen: Roman (German Edition)

Das Herz des Menschen: Roman (German Edition)

Titel: Das Herz des Menschen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jón Kalman Stefánsson
Vom Netzwerk:
Stoff dazu, da hast du das Leben!
    Ich bin kein Dichter, erwidert der Junge und will nicht zu dem anderen Tisch hinübersehen.
    Weiß der Teufel, was du bist, sagt Gísli. Auf jeden Fall haben wir seit Langem genug Gedichte über Berge und alte Götter und Helden. Über das da solltest du dichten, nur lass es sich auf das reimen, was niemals kommen wird. Zu Ágúst, der mit einem Bier für sich selbst zu ihnen kommt, sagt er: Dass du dir das gefallen lässt.
    Sie ist einfach nur blau, sagt der Wirt. Das geht vorüber.
    Ich bin mir nicht sicher, gibt Gísli zurück, ob überhaupt jemals etwas vorübergeht.
    Wir sollten gehen, wirft der Junge ein.
    Gehen? Gísli legt den Kopf ein wenig zur Seite, um einem Glas auszuweichen, mit dem Marta ihren Mann treffen wollte, aber sie ist zu betrunken, um richtig zu zielen, das Glas saust haarscharf an Gíslis Stirn vorbei und zerschellt an der Wand.
    Gehen? Wir gehen nirgendwohin, wir sitzen auf ewig hier fest. Dass du dir so etwas bieten lässt, Ágúst!
    Marta holt sich die nächste Flasche und ein neues Glas als Ersatz für das, das sie nach ihrem Mann geworfen hat, schenkt den Dänen nach und leert ihr eigenes Glas. Der Seemann lehnt sich zurück, stellt die Beine breit auseinander und guckt Marta aus halb geschlossenen Augen so unverhohlen geil an, dass es aggressiv aussieht.
    Sie demütigt dich, Mann, sagt Gísli.
    Bist du sicher, dass ich hier derjenige bin, der gedemütigt wird?, antwortet Ágúst und blickt nicht vom Tisch auf, und Gísli fängt an zu fluchen und zu schimpfen, er schimpft über die Antwort, verflucht Marta, verflucht das Leben, und da geht die Tür auf, und Gunnar Schnauzbart, der Verkäufer aus Tryggvis Laden, schwankt herein. Er ist betrunken, und ein freudloses Grinsen sitzt auf seinen Lippen. Ágúst holt ihm ein Bier, das Gunnar wortlos entgegennimmt, während er zu dem anderen Tisch hinüberstarrt. Da sitzt Marta inzwischen auf dem Schoß des Dänen, dem es blitzschnell gelungen ist, eine ihrer Brüste zu entblößen.
    Was zum Teufel …, sagt Gunnar. Scheiße, Mann!
    Trinkt noch was, fordert Marta die Dänen auf Isländisch auf und füllt noch einmal ihre Gläser. Saufen könnt ihr doch, das habt ihr mit all den anderen armseligen Kerlen gemeinsam.
    Sie steht auf, zieht die Bluse herab, wirft einen spöttischen Blick auf die Beule im Schoß des Mannes, lehnt sich dann an die Wand und raucht.
    Sie ist weg, sagt Gunnar und stiert den Jungen an.
    Der Mensch geht nicht weg, erklärt Gísli, als würde er mit einem Kind reden. Nur der Sinn geht, und wir bleiben mit Bier, schalen Witzen, notgeilen Seeleuten und Nebel zurück.
    Doch Gunnar blickt weiterhin geradezu verzweifelt den Jungen an, bis der endlich fragt: Wer?
    Das weißt du doch, gerade du weißt es doch ganz genau!
    Ich? Nein.
    Doch, sicher.
    Der Junge: Wer ist weggegangen?
    Gunnar: Nicht gegangen. Gefahren. Sie. Um sie geht es, begreifst du denn nicht? Sie, du weißt, wen ich meine, es gibt nur eine Sie. Ich glaube, ich bringe mich um.
    Gísli: Wie?
    Gunnar: Mit dem Schiff natürlich.
    Gísli: Geht das?
    Gunnar: Bist du blöd? Natürlich geht das. Schiffe fahren mit Menschen an Bord davon.
    Gísli: Ich wollte wissen, wie du dich umzubringen gedenkst.
    Gunnar: Wie zum Teufel soll ich denn das wissen? Ich hab’s ja noch nie versucht.
    Du meinst Ragnheiður, sagt der Junge.
    Ja, sicher, wen denn sonst? Warum sollte ich von einer anderen reden? Ich hasse alles, was mich daran erinnert, dass sie weg ist.
    Und was erinnert dich besonders an ihre Abwesenheit?, erkundigt sich Gísli.
    Alles!
    Dann kannst du dich ja gleich umbringen, bester Gunnar, sagt Gísli tröstend. Du wirst sie nie bekommen. Friðrik hat vielleicht eine Vorliebe für dich als Angestellten, dafür bist du allemal ein genügend großes Arschloch; aber er lässt seine Ragnheiður lieber eine alte Jungfer werden, bevor er sie dem Sohn eines Zimmermanns überlässt. Da muss schon ein bedeutend größerer Trumpf kommen, um zu stechen.
    Das weiß ich, sagt Gunnar und sieht zu Marta hinüber, die ihr zweites Zigarillo raucht. Die Atmosphäre um sie herum scheint zu knistern.
    Jesus war der Sohn eines Zimmermanns, sagt der Junge.
    Das hilft mir auch nicht, erwidert Gunnar.
    Nein, bestätigt Gísli, im Gegenteil. Weder Friðrik noch Tryggvi würden es schätzen, wenn ein Typ wie Jesus bei ihnen aufkreuzte. Jemand, der so denkt, wie er dachte, würde die beiden geradewegs ruinieren. Höchstwahrscheinlich, sagt er noch, während Marta das

Weitere Kostenlose Bücher