Das Herz des Menschen: Roman (German Edition)
Dann aber ging er, verschwand mit seinem Schnauzbart in Nacht und Nebel und mit seinem Verlangen nach einer, die mit dem Dampfer davongefahren war und alles mitgenommen hatte, was du dir vorstellen kannst, wenn nicht mehr.
Wenig später traten die vier ebenfalls in die Nacht, Gísli, der Junge und die Wirtsleute.
Du bist viel zu gut für mich, viel zu gut. Darum tue ich so was, ich bin schlecht, du bist zu gut, leierte Marta wieder und wieder.
Aber ich bin doch so langweilig, so farblos, und du dagegen so lebendig, dass ich im Vergleich zu dir schon so gut wie tot bin, widersprach er. Sie gingen so eng aneinandergepresst, dass sich kaum feststellen ließ, wer wen stützte, manchmal heulten sie auch, Gísli und der Junge hinterdrein wie eine Ehrengarde, wie Eindringlinge, wie Registratoren. Teitur ließ das Paar ein, mit gerunzelten Brauen, vor Schläfrigkeit und weil sie so nach Alkohol stanken, aber er ließ sie ein und bot ihnen Unterschlupf. Im Keller aber schlief Hulda bei Snorri, beide waren nackt. Er wachte auf und strich ihr übers Haar, während ihm Tränen durch verwinkelte Furchen über die Wangen hinab in die Bartstoppeln liefen. Sie lagen eng aneinandergeschmiegt wie zwei ineinander verschlungene Noten, die eine Melodie einleiten.
Gísli und der Junge waren zum Haus weitergegangen.
Du bist so lebendig, dass ich im Vergleich zu dir schon so gut wie tot bin, wiederholte der Junge im Wohnzimmer Ágústs Worte. Helga hatte ihre Decke zusammengelegt, doch Gísli hielt sich nicht mehr auf den Beinen, sein Kopf wackelte vor Trunkenheit und Nacht. Der Junge stand noch, roch nach Whisky und berichtete vom Abend, von der Nacht, von dem, was vorgefallen war, und dem Ausbruch der Geilheit, denn wie sollen wir es anders nennen, wenn fleischliche Gier zur Orgie wird?
Der Kerl in der Tür zur Kammer hatte schon die Hose runtergelassen und sein steifes Ding gestreichelt wie ein Schoßtier des Teufels.
Jetzt aber riecht er nicht mehr nach Whisky, in dem Boot, das am Berg entlanggleitet und bald das Djúp erreichen wird, obwohl sie im Nebel nichts erkennen können und es ihnen fast so vorkommt, als kämen sie nicht von der Stelle. Die einzige Veränderung sind höhere Wellen, die von zunehmender Meerestiefe zeugen.
Drei Stunden hat er schlafen können, dabei hatte er damit gerechnet, überhaupt nicht einzuschlafen, alles hat sich in ihm gedreht, er wusste selbst nicht, wie er sich fühlte, manchmal kann man dem Leben eben nicht mit Vernunft begegnen. Mit kühler Überlegung schon gar nicht. Was für ein Segen, schlafen zu können! Und irgendwie war er gesegnet, er legte sich ins Bett und schlief sofort ein, schlief, bis Helga ihn anstupste, an die Tür zu klopfen hatte diesmal nicht gereicht, sie musste in sein Zimmer kommen und ihn wach rütteln, sagte dabei aber gleichzeitig etwas Nettes und Freundliches, sein Leben wäre leichter und weniger anstrengend, wenn er öfter so geweckt würde.
Er und Gvendur, der Riese, rudern nun kräftig, denn sie befinden sich jetzt auf dem ungeschützten Djúp, Dutzende Meter tiefes dunkles Wasser unter sich. Gísli hockt achtern, müde, lässt den Kopf hängen, Geirþrúður im Bug.
Jetzt rudern wir mit, Gísli, sagt Helga.
Rudern, echot er müde. Ich habe seit zwanzig Jahren nicht gerudert, und fahren wir überhaupt in die richtige Richtung? Wir sehen ja nichts in diesem Nebel, man erkennt kaum die eigenen Zehen!
Also sind wir alle blind, meint Kolbeinn.
Der Junge atmet tief durch, es ist besser, mit den Ruderschlägen eins zu werden, zu einer einzigen Bewegung zu werden, mit dem Boot zu verschmelzen, das langsam übers Meer gleitet. Manchmal schaut er in die Richtung, in der die Winterküste liegen müsste.
Du musst morgen früh den Brief an María abschicken, hat Helga in der Nacht gesagt. Da haben sie noch zu viert im Wohnzimmer gesessen, Kolbeinn war längst schlafen gegangen, Gvendur auch, er übernachtete in dem Zimmer, in dem Jens früher schlief, beides groß gewachsene Männer, aber höchst unterschiedlich.
Gvendur ist hier?, fragte der Junge überrascht, nachdem er die Geschichte von dem Abend, der zur Nacht geworden war, erzählt hatte. Er hatte einen Brief geschrieben, war zurückgekommen, wieder zu Gísli gegangen, gemeinsam waren sie durchs alte Viertel gezogen, Gísli war über Svandís gestolpert. Diese Schweine, sagte der Junge.
Manche Kerle sollte man kastrieren, sagte Helga.
Macht und Herrschaft machen so etwas aus ihnen, sagte Geirþrúður dazu und
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