Das Herz des Menschen: Roman (German Edition)
Das traue ich mir schon zu.
Und traust du Gísli?
Nicht seinen Schwächen, nein, aber ich glaube, ich werde sie in Grenzen halten können.
Reicht es zu glauben?
Etwas Besseres ist nicht im Angebot, das Leben ist ungewiss, was dabei rauskommt, hängt überwiegend von uns ab.
Aber bist du sicher, dass er einverstanden sein wird?
Er hat mich beobachtet. Ich habe doch Augen im Kopf, und ich weiß, was ich habe. Er ist auch nicht dumm und wird sich klarmachen, dass er sich in meinem Windschatten gewisse Freiheiten erlauben kann. Ja, ich kann mir vorstellen, mit ihm zusammenzuwohnen, das Haus ist groß, und ich schicke ihn auf Auslandsreisen, wenn er mir auf die Nerven geht. Die allerbeste Möglichkeit stand mir sowieso nie zur Verfügung, John war verheiratet, und jetzt … ist er tot. Außerdem ist Gísli kein langweiliger Mann, kein Dummkopf, kein Holzklotz, kein trockener Fisch, das ist ja schon mal nicht wenig, und wer weiß, vielleicht ist er sogar ein Liebhaber, der was taugt. Reg dich nicht auf, Jóhann, jeder hat doch seine Bedürfnisse.
Anschließend hatte sie mit Redakteur Skúli gesprochen.
Mit Skúli, diesem Angeber, entfuhr es Gísli. Wozu das denn?
Es kommt darauf an, wie er darüber schreibt.
Worüber? Über diese Hochzeit etwa?
Geirþrúður: Genau.
Gísli: Ich habe noch gar nichts dazu gesagt, weder Ja noch Nein. Ich habe überhaupt fast nichts gesagt.
Geirþrúður: Ich weiß, Gísli.
Gísli: Und heute schon gar nicht. Da habe ich bloß bei dem alten General gesessen, auch einem von diesen Provinzfürsten, und mir seine Aufschneidergeschichten angehört und hatte nicht die leiseste Ahnung, dass du zur gleichen Zeit herumläufst und ausgerechnet mit diesem Flachkopf von Skúli darüber redest, ich hätte vor, dich zu heiraten!
Ich weiß es ja, Gísli, wiederholte Geirþrúður begütigend und ein bisschen so, wie man mit einem Kind spricht, und dann ließ sie ihn wissen, dass sie sich auch mit der alten Karólína getroffen habe.
Mit Mama!, rief Gísli, sprang auf und rang die Hände. Er wusste nicht, ob er wütend oder entrüstet sein oder Angst haben sollte, und tat deshalb das Einzige, was ihm einfiel, und hob noch einmal die Arme, ehe er sicherheitshalber und um wenigstens einen Zipfel Selbstwertgefühl zu wahren nachfragte: Du bist wirklich verrückt, oder?
Keineswegs, widersprach Geirþrúður. Ich kämpfe lediglich entschlossen um meine Unabhängigkeit. Das mögen manche durchaus verrückt finden, das ist richtig.
Sie aber hatte mit der alten Dame gesprochen, es war keine lange Unterredung gewesen, sie hatte vielleicht eine halbe Stunde gedauert, und sie war mit kühler Überlegung, aber nicht unbedingt mit Kälte geführt worden. Die drei Schiffe, deren Mehrheitsanteile Karólína besaß und die Gísli einmal erben sollte, sollten beim Tod der alten Dame stattdessen auf Geirþrúður übergehen.
Jóhann wird morgen mit Högni, dem Oberbuchhalter von Tryggvis Handelsfirma, einen diesbezüglichen Vertrag ausfertigen.
Meine Schiffe, jammerte Gísli und meinte: Meine Freiheit!
Deine Mutter weiß genauso gut wie ich, dass du das ganze Vermögen sinnlos verpulvern würdest und die Schiffe am Ende doch deinem Bruder in die Hände fallen würden. Sollten wir uns einmal scheiden lassen, fallen sie aber dir zu. So wird es im Vertrag stehen.
Ich wusste gar nicht, dass wir überhaupt verheiratet sind, wandte Gísli matt ein, wie jemand, der nichts zu bestellen hat.
Er zieht die Hand aus dem kalten Wasser. Das Boot gleitet voran, und Geirþrúður sieht zu ihm herüber. Zum Donnerwetter, sie sieht gut aus, denkt er und senkt die Hand wieder ins Wasser.
Liebe. Irgendwer hat das Wort doch in der Nacht gebraucht. Irgendwer? Helga war es wohl kaum, ein Berg wird kaum an Liebe denken. Wahrscheinlich der Junge. Hat er dieses Wort, Liebe, dieses grausame Nomen, diesen Kometen in den Mund genommen? Nein, der Junge hat nichts dergleichen gesagt, er hat bloß mit diesen hilflosen Kalbsaugen um sich geguckt, die einem so manches in Erinnerung rufen. Gísli bewegt die Hand im Wasser, er hängt schief auf seiner Bank, um das Wasser überhaupt zu erreichen. Dann muss ich es wohl selbst gewesen sein. Man lernt doch nichts dazu im Leben.
Liebe, hat Geirþrúður wiederholt, von der verstehe ich nichts. Es gibt von ihr bekanntlich nicht genug auf der Welt, und so bekommt eben nicht jeder ein Stück von ihr ab. Ich schätze aber deinen Verstand, deine Bildung, manches an deinem Charakter, aber er ist zu
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