Das Herz des Menschen: Roman (German Edition)
die eine hält sich sehr gerade und ist so abrupt in ihren Bewegungen, dass es nahezu brüsk wirkt, die andere lässt die Schultern hängen, wirkt weicher, ihre Haut ist gealtert.
Ich habe vier, sagt Bjarni und nippt an seinem heißen Kaffee, kann auch nicht weitersprechen, irgendetwas Großes sitzt ihm auf einmal im Hals. Ich werde doch nicht krank werden, denkt er besorgt und erschrocken, denn was wäre, wenn das Schlimmste eintreten sollte, das ist auch anderen schon passiert, er kennt etliche Fälle, jemand fängt an zu husten, und schon ist er tot. Was würde dann aus seinen Kindern? Man würde sie trennen, weit getrennt voneinander irgendwo unterbringen. Und wer würde sich um seine Mutter kümmern? Ich muss nach Hause, denkt er, da bin ich in Sicherheit, unter anderen Menschen ist man so ausgesetzt. Er trinkt seinen Kaffee und hört, wie Helga dem Jungen aufträgt, eine größere Trage zu holen.
Es ist ja unsinnig, dass du den halben Tag mit den Eiern hin und her läufst und müde wirst, wenn sich mit dem richtigen Gerät alle auf einmal herschaffen lassen.
Es tut mir gut, sie allein zu tragen, wendet Bjarni ein, sagt dann aber nichts weiter und bleibt still sitzen, als sich der Junge fertig macht. Er hat keine Kraft, noch mehr zu sagen, und es kommt ihm auch vor, als wäre es sinnlos, in diesem großen Haus zu widersprechen. Er streckt die Hand aus und hält darin plötzlich schon wieder ein Stück von diesem süßen Gebäck, das er nicht einmal dem Namen nach kennt. Er traut sich nicht, es zurückzulegen, und kaut es, wie er auch eine andere unvermeidliche Aufgabe erledigen würde, nur einmal ändert er unwillkürlich seine Miene.
Deine Kinder würden sich freuen, sagt Andrea lächelnd, und er lächelt zurück, kann gar nichts dagegen machen. Wo ist eigentlich seine Unabhängigkeit geblieben?
Als der Junge mit der Trage kommt, einem großen Ding, zehn Zentimeter tief, zwei Tragarme und Griffe an jedem Ende, hat Bjarni den Frauen die Namen aller vier Kinder genannt und ihre Fragen nach ihnen beantwortet. Und es war verwunderlich, aber in dem Moment, in dem er hier in dieser Küche ihre Namen nannte, Steinólfur, Sakarías, Jón und Þóra, schienen sie nicht mehr so weit weg zu sein. Oder verwirrte ihn nur dieses süße Gebäck? Dann kommt der Junge mit der Trage zurück und hat ein Lächeln im Gesicht, denn er ist unterwegs Lúlli und Oddur begegnet, die gerade ein dänisches Schiff entladen hatten und nun einen halben Tag freihaben. Er hat sich gerade mal eine Minute mit ihnen unterhalten, aber das hat gereicht, um dieses Lächeln auf sein Gesicht zu zaubern, das noch immer dort ist, als er ins Haus kommt. Manche Menschen sind noch in ihrem Alltag wertvoll.
Ich bin es gar nicht gewöhnt, so viel zu reden, sagt Bjarni, nachdem er und der Junge die Eier auf die Trage geladen haben. Sie haben sie ganz sorgfältig gestapelt, damit die untersten nicht zu Bruch gehen, und haben alle untergebracht, einen toten Vogel ganz zuoberst. Jetzt ist die Trage aber auch randvoll.
Bestimmt fünfzig Kilo, stellt der Junge fest, der über die Trage gebeugt dasteht und gerade mit dem Stapeln fertig geworden ist. Und da sagt Bjarni, er sei es nicht gewöhnt, so viel zu reden.
Der Junge staunt; sie haben nämlich schweigend gearbeitet, seit Verlassen des Hauses haben sie nicht ein Wort geredet, und das ist ihm schwergefallen, denn er hat Bjarni Verschiedenes sagen wollen, sich aber einfach nicht dazu durchringen können – der Bauer vom Eismeer schien tiefen Gedanken nachzuhängen, war weit weg.
Da drinnen, sagt Bjarni zur Verdeutlichung.
Hast du da wirklich so viel gesagt?, fragt der Junge. Ich wundere mich. Es lässt sich bei beiden gut reden, es fällt einem leicht, man braucht … man braucht sich nicht in Acht zu nehmen.
Als Bjarni nichts sagt, fährt der Junge fort: Andrea war Wirtschafterin in einer Fischerhütte.
Fischerhütte, echot Bjarni und schaut in eine andere Richtung, als sei er gar nicht anwesend.
Ja, setzt der Junge wieder ein, doch Bjarni fällt ihm ins Wort: Die mit den grauen Haaren?
Was?
Ist das Andrea?
Ja, das ist Andrea.
Ah, macht Bjarni wieder, als wäre er gar nicht bei der Sache.
Der Junge spricht nicht weiter, es geht auch gar nicht, so lieb hat er Andrea ganz plötzlich, dass ihm vor dem letzten, beschreibenden Wort die Stimme bricht.
Ja, und sie ist kostbar.
Kostbar, spricht ihm Bjarni nach und ist plötzlich aus seiner Entfernung wieder zurück; er wiederholt noch einmal:
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