Das Herz des Ritters
Zeitpunkt noch nicht bekannt gewesen.
Logan lachte ungläubig auf, zweifellos um Sebastians Schweigen zu überspielen, das sich in die Länge zog. »Das ist unmöglich. Sagt Eurem Freund Bradford, er soll sich mal die Augen untersuchen lassen. Er sieht nicht mehr richtig.«
So gern Sebastian seinem Freund glauben wollte, er konnte es nicht. Der Bericht des Soldaten stimmte mit seinen Befürchtungen überein und nährte den Verdacht, der bereits in seinem Herzen gekeimt war. Er wich zurück, als hätte man ihn geschlagen, sein Instinkt aber ermahnte ihn, die Fakten mit Vernunft zu betrachten. »Und was hat er noch erzählt?«
»Nicht viel, Mylord. Nur, dass der König ihn und die anderen Leibwächter weggeschickt hat.«
»Weggeschickt. Warum?«
Der Ritter zuckte matt die Schultern, sein Blick war betroffen und es schimmerte etwas darin, das unangenehmerweise an Mitleid erinnerte. »Er meinte, er wolle früh zu Bett gehen und wünsche ungestört zu sein. So, wie ich es verstanden habe, hat sie – Eure Dame – darauf bestanden.«
»Keine Wachen«, sagte er und warf Logan einen alarmierten Seitenblick zu.
Wild wirbelten die Gedanken in seinem Kopf durcheinander, sein Verstand wollte es nicht glauben. Er rief sich die Geschehnisse der vergangenen Wochen noch einmal in Erinnerung, dachte an die Zeit, die er mit Zahirah verbracht hatte, angefangen von ihrer ersten Begegnung im Souk und ihrer Bitte um Schutz, bis hin zu dem Hinterhalt, vor dem sie ihn gewarnt hatte, und den Nächten, die sie eng umschlungen gemeinsam verbracht hatten. Er dachte über ihr Verhalten am vergangenen Tag nach, ihren stillen Rückzug, die seltsame Bemerkung, nachdem sie sich im Badehaus geliebt hatten, als sie meinte, sie wolle sich seinen Anblick genau einprägen. Ihre stille Hinnahme des unerwarteten Befehls an diesem Morgen, der sie kaum zu überraschen schien. Und dann gab es da noch ihre Verbindung zu Halim, der nachweislich ein Assassine gewesen war. Sie hatte behauptet, er sei ihr Bruder, und später zugegeben, dass sie gelogen hatte.
Sie hat zu viele Geheimnisse, wie viele davon hat sie durch Lügen bewahrt?,
fragte er sich. Und wie viele ihrer Lügen hatte er geglaubt – oder schlimmer noch, wollte er immer noch glauben, obwohl sein Instinkt ihn eines Besseren belehrte?
»Ich muss sie aufhalten«, sagte er, zog an den Zügeln und wendete sein Pferd. Die stampfenden Hufe wirbelten eine Staubwolke auf. »Wir müssen zurück nach Askalon. Sofort.«
Logan blickte ihn fassungslos an, dann dämmerte ihm die Erkenntnis, und seine Augen verdunkelten sich. »Oh, Jesus. Du glaubst doch nicht etwa …«
Wie betäubt durch das Gewicht des Verdachtes, der auf ihm lastete, schüttelte Sebastian die Hand ab, die Logan ihm mitfühlend auf die Schulter gelegt hatte. »Wir müssen uns beeilen«, sagte er mit gefährlich ruhiger, aber fester Stimme zu dem Schotten, der sein Pferd ebenfalls wendete. »Schnell, Logan, und bete zu Gott, dass ich mich irre.«
Zahirah seufzte tief auf, als die Sonne in den Horizont eintauchte. Sie war fast erleichtert, den feuerroten Ball zur Ruhe gehen zu sehen. Das Warten würde nun bald ein Ende finden. Die Dämmerung setzte schnell ein, und damit rückte auch die Aufgabe näher, die sie fest entschlossen war, auszuführen.
Der König würde in diesem Moment zu Abend speisen. In weniger als einer Stunde würde sie seine Privatgemächer aufsuchen, um ihre tödliche List in die Tat umzusetzen. In weniger als einer Stunde würde sie wohl ihren letzten Atemzug tun. Die Aussicht ließ sie seltsam unberührt, denn sie fand Trost und Frieden in der Vorstellung, dass der Tod des Königs – und unausweichlich ihr eigener Tod – Sebastian das Leben rettete.
An diesen Gedanken klammerte sie sich. In den letzten Augenblicken der Besinnung und Meditation war er alles, was ihr noch geblieben war, alles, was ihr noch wichtig war.
Sich ihr Ziel, Sebastian zu retten, fest vor Augen haltend, kniete sie sich auf die harten Fliesen der Dachterrasse und verneigte sich zu einem letzten Gebet.
Der Abend dämmerte bereits, als Sebastian und Logan auf ihren erschöpften Pferden durch die offenen Tore des Palastes in Askalon preschten. Sebastian ließ die Zügel fallen und sprang aus dem Sattel. Mit ausholenden Schritten überquerte er den halbdunklen Hof und schlitterte in vollem Lauf um die Säule des Bogenganges. Seine Gemächer lagen im angrenzenden Korridor. Benommen vor Furcht, hastete er den Gang entlang und hoffte
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