Das Herz des Ritters
umdrehen.
Als ob er ihre Absicht geahnt hätte, hob er unvermittelt den Kopf und drehte das Kinn über die Schulter.
Lauscht er?,
fragte Zahirah sich. Wie erstarrt blieb sie stehen und ließ die Tunika rasch wieder fallen. »Möchtet Ihr einen Schluck Wein, Mylord?«, fragte sie, als sie eine Karaffe und einen Kelch auf einem Tisch neben dem Diwan entdeckte.
Er neigte langsam den Kopf. Bedächtig ging Zahirah zu dem Tisch, um ihm den Wein zu holen, und beobachtete erleichtert, dass er den Blick wieder auf den mondbeschienenen Hof richtete. Sie beabsichtigte nicht, den König in dieser Nacht zu verführen, und solange er blieb, wo er war und ihr den Rücken zukehrte, konnte sie sich an ihn heranschleichen und die verhasste Aufgabe hinter sich bringen.
Mit einer Hand die Karaffe haltend, zog sie mit der anderen während des Einschenkens den Dolch aus seiner ledernen Scheide, froh darüber, dass das leise ratschende Geräusch, das dabei zu hören war, von dem Gurgeln des fließenden Weines überdeckt wurde. Den Kelch in ihrer linken, den Dolch nahe an ihrem Bauch in ihrer rechten Hand haltend, ging sie zu dem arglos wartenden König ans Fenster.
Beim Näherkommen gewann sie den Eindruck, dass er größer als sonst wirkte. Und als sie nur noch eine Armlänge entfernt war, stellte sie fest, dass auch seine Schultern breiter und kräftiger schienen, seine Haltung aufrechter. Gewiss war er ein gefährlicher Mann und nicht zu unterschätzen, selbst wenn sie sich seinem löwengleichen Gebaren nicht in einem erbitterten Kampf stellen musste. Reglos verharrte er, doch er schien vor Kraft zu bersten, die, obwohl im Moment gezügelt, im Nu ihre tödliche Wirkung entfalten würde, wenn ihm der Sinn danach stand.
Zweifel überfielen sie erneut, drohten ihre stählerne Entschlossenheit zu untergraben.
Ich kann das,
versicherte sie sich selbst. Bei Allah, sie musste es tun.
Unwillkürlich flackerte ihr jahrelang geschulter Kampfgeist auf und wies ihr den Weg. Die Finger fest um den Griff des Dolches geschlossen, trat sie an den König heran.
»Euer Wein, Mylord«, schnurrte sie sanft und verheißungsvoll. So heuchlerisch, so falsch. Zu seiner Linken hinter ihm stehend, hielt sie ihm den Kelch hin. Er wandte sich nur leicht um, und nahm ihn mit der rechten Hand entgegen. Seine Finger streiften die ihren, nur kurz, aber sengend. Die Berührung beunruhigte sie so sehr, dass sie erschrocken zurückzuckte. Doch sobald sich seine Hand um den juwelenbesetzten Stiel des Kelches geschlossen hatte, schlug Zahirah wie eine Viper zu.
Sie hob den Dolch und ließ ihn mit aller Kraft auf seinen Rücken niederfahren, in der Absicht, ihn zwischen seine breiten Schultern zu bohren. Mit voller Wucht führte sie den Hieb aus, aber die Klinge glitt seltsamerweise einfach an ihm ab, zerschnitt nur sein weißes Gewand. Ein überraschter Laut entfuhr ihr und sie verharrte wie erstarrt. Der König sackte nicht in sich zusammen, stellte sie verblüfft fest. Er schwankte nur leicht und machte einen halben Schritt nach vorn.
Ehe er noch einen weiteren Schritt tun oder gar seine Wachen rufen konnte, schüttelte Zahirah unter Aufbietung all ihrer Willenskraft ihre Benommenheit ab. Der König musste sterben. Sie musste diese Aufgabe zu Ende bringen! Wild entschlossen stürzte sie sich mit einem wütenden Schrei auf ihn und stieß zu.
Doch wieder glitt der Dolch einfach an ihm ab.
Unmöglich!
Sie blinzelte erstaunt, bemüht, das Unfassbare vor ihren Augen zu leugnen, doch was sich ihr im glänzenden Lampenlicht offenbarte, ließ sich nicht bestreiten. Die Klinge hatte Metall getroffen, keinen Leib; war auf harte Stahlglieder geprallt, statt sich durch den Rücken in das Herz des englischen Königs zu bohren.
Und dann, im selben Augenblick, da sie diese Erkenntnis traf, begriff sie auch, welch schwerwiegenden Fehler sie in Wirklichkeit begangen hatte. Denn in diesem Augenblick, zwischen zwei Atemzügen, wandte ihr der König sein Gesicht zu. Nur war es nicht der König, der den weißen, zerfetzten Kapuzenmantel trug.
Es war Sebastian.
Fassungslos blickte er sie an, seine Nasenflügel bebten bei jedem Atemzug. Er machte einen Schritt nach vorn und schleuderte den Kelch mit aller Wucht an die Wand. Klingend wie eine Glocke prallte er ab und landete scheppernd auf dem Boden.
Zahirah stolperte zurück. »Nein«, flüsterte sie und presste die Hand auf den Mund. »Oh nein. Nein.«
Sie schüttelte den Kopf, betete, dass ihre Augen sie täuschten,
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