Das Herz des Ritters
Sebastian die Feldflasche von seinem Sattel und nahm einen großen Schluck Wasser zu sich. Dann reichte er die Flasche an Logan weiter, der neben ihm ritt.
Seit Verlassen des letzten Dorfes hatte sich der Schotte die meiste Zeit über mit den beiden anderen Männern unterhalten; sie hatten Kriegsgeschichten ausgetauscht und die Schwierigkeiten der Kriegsführung in einem solch fremden, unwirtlichen Land erörtert. Einer der jungen Ritter war mit Richard in Darum gewesen. Nun erzählte er wortreich von den Plagen, mit denen sie zu kämpfen gehabt hatten: die schier unerträgliche Hitze und der Sonnenbrand, die Stechmücken, die die Männer bei lebendigem Leibe auffraßen, die verrotteten Lebensmittel, die einem Großteil der Truppe mehrere Wochen lang Durchfall beschert hatten. »Dem König konnte all das jedoch nichts anhaben«, sagte der Ritter ehrfürchtig. »Er ist mit jedem Rückschlag mühelos fertiggeworden. Einige der Männer meinten, er sei der neue Roland.«
Logan schnaubte und warf Sebastian einen bedeutungsvollen Blick zu. »Nun, ob legendärer Held oder nicht, wie es scheint, sind die Zeiten der Feldzüge auch an ihm nicht spurlos vorübergegangen, mein Junge. Bei unserem Aufbruch hat Löwenherz in seinen Gemächern geruht. Zweifellos wird er auch noch im Bett liegen, wenn wir zurückkommen.«
Der junge Ritter hinter ihnen brach in schallendes Gelächter aus. »Im Bett mag er liegen«, sagte er glucksend und entkorkte seinen Weinschlauch, »aber gewiss nicht, weil er krank ist. Und ganz sicher liegt er dort nicht allein, wie ich gehört habe.«
Der andere Mann versuchte ihn, mit einem schnellen, warnenden Blick – die Lippen fest zusammengepresst, die Augen weit aufgerissen – zum Schweigen zu bringen. Der Junge hob abwehrend die Hände, sichtlich ahnungslos, welchen Fehler er begangen hatte, aber er hielt sofort den Mund.
Der Blickwechsel war nur kurz und unauffällig gewesen, doch Sebastian hatte sich gerade in dem Moment umgedreht und ihn bemerkt. Mit einem Mal war sein Mund wie ausgetrocknet.
»Wie kommt Ihr zu dieser Annahme, Sergeant?«
Unangenehmes Schweigen war die Antwort. Die beiden Ritter tauschten unsicher Blicke miteinander aus. Der junge Mann, der den Scherz gemacht hatte, schlug die Augen nieder und schüttelte den Kopf. Seine Heiterkeit war mit einem Mal wie weggeblasen. »Ich bitte um Verzeihung, Sir. Meine Bemerkung war … unangemessen. Offensichtlich habe ich mich getäuscht«, stammelte er ausweichend.
Kalt und schwer breitete sich eine dunkle Ahnung in Sebastian aus und drückte auf seinen Magen. Seine Schläfen pochten, und sein ganzer Körper begann sich anzuspannen. Jäh zügelte er sein Pferd. »Gebt mir Antwort, Sergeant«, befahl er schroff und sah von einem verlegenen Soldaten zum anderen. Als keiner der beiden das Wort ergriff, keiner es wagte, ihm in die Augen zu sehen, brüllte er den Befehl noch einmal mit all der Wut hinaus, die wie ein Gewittersturm in ihm tobte. »Sagt es mir, verflucht noch mal!«
Die beiden Ritter fuhren erschrocken im Sattel zusammen. Der zweite Junge schaute auf. In seinen Augen stand ein gehetzter, angsterfüllter Blick, sein Gesicht war blutleer, es hatte die Farbe von Fischmehl angenommen. Die Nachricht schien tatsächlich schlecht zu sein. »Verzeiht, Mylord, aber kennt Ihr John Bradford, Sir?«
Der Name kam Sebastian entfernt bekannt vor. Wenn er sich nicht irrte, war der Mann einer der persönlichen Leibgardisten des Königs. Er warf dem jungen Ritter einen ungehaltenen Blick zu.
»Aye, nun, Mylord … wir sind Freunde, John und ich. Und er erzählte mir, dass er gestern beim Treffen des Königs mit den Templern und anderen hohen Herren zugegen war. Und, also, Sir, wisst Ihr, John war auch danach noch da …«
»Danach«, drängte Sebastian ungehalten, nicht willens, diese langatmige, gestammelte Erklärung noch länger zu erdulden. »Nun spuck’s schon aus, Mann.«
Die Bemerkung schien Wunder zu wirken. Der Ritter schluckte schwer, sah seinen Freund hilflos an und senkte erneut den Blick. Schließlich platzte er unverblümt heraus: »Er war auch nach Ende der Besprechung noch da, als der König eine Verabredung vertraulicher Natur mit einer Dame traf, der er im Korridor begegnete.«
»Eine Dame?« Sebastians Stimme klang hölzern.
»Aye, Sir. Die Sarazenin.« Er schluckte schwer. »Eure Dame, Mylord.«
Der andere junge Ritter schnappte erschrocken nach Luft. Offensichtlich war ihm die Verbindung bis zu diesem
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