Das Herz des Ritters
Sie sind alle darin umgekommen.«
»Friede sei ihrer Seele«, flüsterte Zahirah gleichzeitig mit Abdul.
»Ich hätte Askalon verlassen können, wie viele andere das nach dem Feuer taten, aber diese Stadt ist meine Heimat. Ich bin hier geboren. Und wenn es Allahs Wille ist, werde ich auch hier sterben.«
»Aber dennoch, warum lebt Ihr ausgerechnet hier, in einem Heerlager der Kreuzritter?«, fragte Zahirah, die sich mit dieser Vorstellung immer noch nicht anfreunden konnte. »Sicher gibt es andere Orte … andere Mittel, um für Euren Unterhalt zu sorgen.«
»Oh, so schlimm ist es nicht, Herrin. Die Kreuzfahrer sind nicht anders als andere Krieger auch. In den Herzen aller Menschen wohnen Gut und Böse, ob sie nun Anhänger des muslimischen, christlichen oder anderen Glaubens sind. Und bei den meisten Kreuzfahrern im Palast überwiegt das Gute. Ihr werdet schon sehen.« Er legte ihr sacht die Hand auf den Arm; überrascht zuckte sie zusammen. »Mein Herr, Lord Sebastian, ist einer der ehrenhaftesten, großmütigsten Männer, die ich kenne, auch wenn ich befürchte, dass seine aufbrausende, ungestüme Art Euch anders denken lässt.«
Zahirah lag schon die Bemerkung auf der Zunge, dass sie ihn nicht gut genug kannte, um sich überhaupt eine Meinung über ihn bilden zu können, und dass sie auch nicht den Wunsch hegte, ihn näher kennenzulernen. Doch sie entschloss sich, dieses Spiel erst einmal mitzuspielen, konnte es ihr doch wertvolle Einblicke in die Gewohnheiten des Königs geben. »Der englische König teilt wohl Eure Achtung, da er Euren Lord Sebastian als Befehlshaber der Garnison eingesetzt hat.«
Abdul nickte. »Durch meine Stellung im Palast weiß ich, dass Richard von England nur wenigen Männern seine Wertschätzung schenkt. Sein Vertrauen ist schwer zu erringen und schnell zu verlieren.«
»Gleiches sagt man von seinen Versprechen, wie ich hörte.«
»Und seiner Gnade, Herrin«, warnte der Diener. »Wenn ich Euch einen Rat geben darf: Seid bestrebt, ihm aus dem Weg zu gehen. Der König hat ein Faible für die Schönheiten dieser Welt, und gewöhnlich nimmt er sich einfach, was ihm gefällt.«
Zahirah nahm die Warnung mit dankbarem Nicken entgegen. »Residiert er im Palast, wenn er in Askalon weilt?«, fragte sie in beiläufigem Ton.
»Der König führt seine Truppen oft auf Feldzüge, doch wenn er sich in der Stadt aufhält, bezieht er hier Quartier.«
»Und wo befinden sich seine Gemächer?«, fragte Zahirah weiter. »Bloß, damit ich weiß, welchen Teil des Palastes ich meiden sollte.«
Abdul lächelte beruhigend. »Haltet Euch in der Nähe meines Herrn auf, und Ihr werdet nichts zu fürchten haben, Herrin.«
Es war nicht die Antwort, die sie erhofft hatte, aber sie konnte nicht weiter nachfragen, ohne sein Misstrauen zu wecken. Sie beobachtete, wie er die Kissen in der Kammer verteilte, und stimmte bereitwillig zu, als er meinte, sie wolle vermutlich eine Weile allein sein, um sich auszuruhen. Zwar war sie nicht müde, dennoch legte sie sich hin und gab vor, schlafen zu wollen, als Abdul schließlich das Zimmer verließ.
Nachdem sie sicher sein konnte, dass der Diener sich um andere Pflichten kümmerte und sein Herr nirgendwo in Sichtweite war, schlüpfte Zahirah aus der Kammer und schlich durch den Korridor. Die Gelegenheit, den Palast zu erkunden, war so selten wie kostbar, und sie war entschlossen, sie zu nutzen.
Ihr Erkundungsgang führte sie zunächst einen langen Gang hinunter, der über einem der zahlreichen ummauerten Höfe verlief. Hastig, aber vorsichtig lief sie über die offene Galerie und ließ dabei die Ritter, die im Hof ihren Wehrübungen nachgingen, nicht aus den Augen.
Auch er befand sich unter den Männern – Sebastian. Vom schattigen Säulengang aus beobachtete er ihre Übungen. Die muskulösen Arme hatte er über der nackten Brust verschränkt, die schwarzen Brauen zusammengezogen. Der Hof war voller kämpfender Männer, dröhnte vom Klirren der Waffen, doch all das nahm sie kaum wahr, denn er zog ihren Blick wie magisch an. Selbst wenn er müßig dastand, strahlte er eine unbändige männliche Kraft aus und ein gerüttelt Maß an Macht und Ungezähmtheit. Seine beeindruckende Erscheinung beherrschte den großen Hof ebenso sehr wie ihre Sinne.
Einem jungen, hübschen Dienstmädchen schien es ähnlich zu ergehen. Mit wiegendem Gang schlenderte sie zu ihm hinüber und brachte ihm einen Becher Wein. Sie trug keinen Schleier, der ihren begehrlichen Blick verhüllen
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