Das Herz des Ritters
Hauptmann Gesellschaft leisten zu müssen, wurde ihr ganz flau im Magen, doch sie versuchte, ihr Unbehagen zu verdrängen. Immer noch sah sie vor sich, wie sich erst Überraschung, dann unverkennbar Unmut in seinen graugrünen Augen gespiegelt hatte, als er ihre Anwesenheit in seinen Privatgemächern bemerkt hatte. Wenngleich er auch nur seinem zur Vorsicht mahnenden Kriegerinstinkt gefolgt war, hatte es sie doch erschreckt, wie schnell er das tödliche spitze Ende seines Schwertes auf sie gerichtet hatte.
Keine Gnade hatte in seinem Blick gestanden; nur kalte Entschlossenheit, als er die Klinge an ihre Kehle setzte. Er führte die Waffe so geschickt und sicher, dass er im letzten Moment vor dem tödlichen Stoß noch innehalten konnte, nur eine Haaresbreite von ihrem Hals entfernt. Immer noch glaubte sie, den kalten Stahl an ihrer Kehle zu spüren, und sie wusste, dass der Tag kommen würde, an dem das wieder der Fall sein würde.
Wenn es Allahs Wille war, würde sie jedoch zuvor den Sieg über die verhassten Kreuzfahrer und ihren König errungen haben.
Allein der Gedanke daran konnte sie zu einem Lächeln bewegen, als sie sich Abdul zuwandte, der die Kammer ohne seinen englischen Herrn betreten hatte. Die schweren Schritte, die im Korridor auf dem Fliesenboden widerhallten und allmählich verklangen, kündeten davon, dass der Hauptmann es vorgezogen hatte, zu gehen.
»Würdet Ihr bitte mit mir mitkommen, Herrin?«, fragte Abdul. Trotz seiner freundlichen Miene wirkte er verlegen. »Mein Herr ist der Ansicht, Ihr werdet Euch in einer anderen Umgebung wohler fühlen.«
Zahirah hob eine Braue. »Hat er Euch angewiesen, mich hinauszuwerfen, Abdul?«
»Es ist sein Wunsch, dass ich Euch Ruhe für den restlichen Tag verschaffe«, antwortete der Diener in dem offensichtlichen Versuch, sie zu beschwichtigen.
Sie war sich nicht sicher, ob er die Freundlichkeit vielleicht nur vortäuschte, wusste nicht, ob sie seinem Wort trauen konnte. Doch als er den Gebetsteppich und die Kissen, die er ihr gebracht hatte, aufhob und zur Tür ging, folgte sie ihm ergeben. Er brachte sie in eine andere Kammer auf demselben Gang, kaum ein Dutzend Schritte von den weitläufigen, luxuriösen Gemächern des Hauptmanns entfernt. Sie war kleiner, aber ebenso hell und sauber, wenngleich auch schlichter ausgestattet. Auf dem Bett fand sich eine Seidendecke, und ein eleganter, großer Diwan stand unter dem hohen Fenster, dessen aufwendig mit Flechtmustern verziertes Gitter den Raum vor der Wüstenhitze schützen sollte.
Abdul drehte sich zu ihr um und stellte fest, dass sie sich lächelnd umsah. »Es gefällt Euch. Das freut mich, Herrin.«
Ihr missfiel es, dass er sie so nannte.
Herrin.
Als ob sie hierhergehörte, zu den Bewohnern des Palastes, so wie er.
Wieso ließ sich dieser stolze Sarazene, dem es weder an Verstand noch an Klugheit zu mangeln schien, dazu herab, einem englischen Lord zu dienen? Er war weder wie ein Sklave gekleidet, noch trug er ein Brandzeichen, und ganz offensichtlich war er auch nicht zum heidnischen Glauben der westlichen Heere konvertiert, denn er trug keinen gestreiften Zunnar-Gürtel.
»Ihr seid ein freier Muslim«, sagte sie, als er den Gebetsteppich ausrollte und in östlicher Richtung auslegte.
»Das bin ich, Herrin.«
»Kümmert es Euch nicht, denen zu dienen, die Allahs Gebote missachten?«
Ihre Frage war unverfroren, vielleicht zu unverfroren für eine Frau. Abdul richtete sich auf und sah sie an. Forschend sah sie ihm in die Augen, doch sie konnte weder in seinem Blick noch in seinem freundlichen Lächeln ein Anzeichen von Groll erkennen. »Mich hat es mehr bekümmert, als unser eigenes Heer vor kaum einem Jahr Askalon dem Erdboden gleichgemacht hat«, sagte er. Die Vorstellung bereitete ihm immer noch Gram, wie seine Stimme verriet. »Die Stadt wurde absichtlich zerstört, wie Ihr vielleicht wisst, um die Kreuzfahrer abzuschrecken und zu verhindern, dass sie sie einnehmen.«
»Ich erinnere mich daran«, sagte sie. »Askalon hat sieben Tage und Nächte lang gebrannt.«
Abdul nickte flüchtig. »Ich hatte eine Gemahlin und einen kleinen Sohn. Mein Sohn war krank und meine Gattin hat ihn gepflegt, während ich dabei half, die Verwundeten in der Nähe des Hafens zu versorgen. Saladins Truppen haben unser Haus und die anderen in der Straße in Brand gesteckt. Der Wind wehte heftig an diesem Tag, und das Feuer breitete sich rasch aus. Meine Familie hatte keine Möglichkeit, den Flammen zu entfliehen.
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