Das Herz des Ritters
stürmischen Woge trieb er an die Oberfläche …
Nein.
Zahirah unterdrückte den beunruhigenden Gedanken, bevor er sich in ihrem Kopf festsetzen konnte. Sie richtete sich auf und rieb sich über die Arme, um die Kälte zu vertreiben, die sie bis ins Mark frösteln ließ. Rasch hob sie den Blick zum Himmel und sah in die tröstliche, blendend heiße Sonne. Sicheres, helles Tageslicht. Hier hatte sie nichts zu fürchten.
Und dennoch zitterte sie.
Sie wusste nicht, wie lange sie sich bereits auf der Dachterrasse aufhielt, aber die Einsamkeit und Stille bereiteten ihr unvermittelt Unbehagen, und sie verspürte den Drang, sich in das geschäftige, lärmende Treiben des Palastes zu begeben. Sie legte sich den Schleier wieder um, strich Tunika und Schalwar glatt und machte sich auf den Weg zu ihrem Gemach.
Zu ihrer Erleichterung herrschte außerhalb des Haremflügels tatsächlich eifrige Betriebsamkeit. Dienstboten gingen ihren Pflichten nach, Soldaten machten ihre Waffenübungen im Hof. Selbst das Geschnatter der Waschfrauen, die die Männer mit unverfrorenen Scherzen und Anspielungen neckten, war eine willkommene Abwechslung, um die Schreckensbilder zu vertreiben, die ihr vom Dach gefolgt waren.
Sie ertappte sich dabei, dass sie unauffällig nach Sebastian Ausschau hielt, darauf wartete, sein tiefes Lachen zu hören, darauf hoffte, ihm auf dem Weg zu ihrer Kammer in einem der vielen Gänge zu begegnen. Doch der Hauptmann war nirgendwo zu sehen; offensichtlich hatte er immer noch mit seinen Männern außerhalb des Palastes zu tun.
Zahirah versuchte, den Stich der Enttäuschung über seine Abwesenheit zu ignorieren, ebenso wie den Schimmer der Hoffnung, ihn vielleicht in seinen Gemächern anzutreffen. Sie verlangsamte ihre Schritte, als sie an seiner Tür vorüberging, doch er war nicht dort. Die Kammertür war fest verschlossen, nichts als Stille war von der anderen Seite zu hören.
Zahirahs Kammertür hingegen war nur angelehnt. Argwöhnisch trat sie ein. Jemand war dort gewesen, seit sie das Zimmer am Morgen verlassen hatte. Zweifellos Abdul, dachte sie, nachdem sie sich rasch umgesehen hatte, und beruhigte sich sofort.
Der Flechtgitterladen vor ihrem Fenster war geöffnet worden, um die milde Brise hereinzulassen, die vom Garten herüberwehte. Auf dem viereckigen Tisch davor stand eine Vase mit frischen Blumen, deren fröhliche Farben und süßer Duft Auge und Nase erfreuten. Doch es war das kleine Päckchen auf dem Bett, das ein Lächeln auf Zahirahs Lippen lockte und sie unwillkürlich wie auf Wolken schweben ließ.
Noch ein Geschenk von Sebastian?,
fragte sie sich aufgeregt, als sie eifrig die Bänder löste und den leinenen Umschlag entfernte. Doch jegliche Freude in ihr erlosch, als sie gewahrte, was das Päckchen enthielt. Das Geschenk war gar kein Geschenk.
Es war ein flacher gelber Kuchen, doch niemand würde es wagen, ihn zu verspeisen, denn er konnte nur von einem einzigen Ort geschickt worden sein: Masyaf. Gewöhnlich wurden die Opfer der Assassinen mit einer solchen symbolischen Gabe bedacht, dieses Mal galt die Nachricht – oder Warnung – jedoch ihr. Ernüchtert von dem Anblick, schloss Zahirah leise die Kammertür, breitete das Leinen auf dem Bett aus und zerbrach den krümeligen Kuchen. Ein kleiner quadratischer Papyrusfetzen war darin eingebacken. Als sie das Blatt auseinanderfaltete, entdeckte sie eine auf Arabisch verfasste Nachricht von Halim.
Ich habe neue Informationen. Triff mich morgen zum Jumagebet in der Moschee. Sei pünktlich!
Zahirah nahm das von Krümeln übersäte Tuch und schüttelte es am Fenster aus. Die Vögel und Tauben würden die winzigen Überbleibsel des Kuchens im Nu verschwinden lassen. Halims Nachricht musste jedoch anders zerstört werden. Sie trat zu einer Öllampe, die in einem Alkoven in der Wand brannte, und hielt den Papyrus über die dünne Flamme. Er rauchte und fing Feuer und brannte auch noch, als sie ein Klopfen an der Tür vernahm.
»Zahirah, seid Ihr da?«
Sebastian
. Panisch drehte sie den Kopf zur Tür, von der seine tiefe Stimme gekommen war. Allah, was sollte sie tun? Sie ließ die glimmenden Überbleibsel der Nachricht auf den Boden fallen und trat sie so leise wie möglich aus. Kurz überlegte sie, ob sie so tun sollte, als sei sie nicht im Zimmer, aber sie traute ihm zu, dass er einfach die Tür öffnen würde, um sich mit eigenen Augen von ihrer Abwesenheit zu überzeugen.
»Nur einen Augenblick, bitte«, rief sie mit gezwungen ruhiger
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