Das Herz des Ritters
nicht möglich«, stammelte sie. Seit sie als impulsives, leichtsinniges Kind das Spiel gelernt hatte, hatte sie keine Partie
Schatrandsch
mehr verloren.
Doch die Tatsache war unumstößlich. Trotz seiner Unerfahrenheit war es dem Engländer, einem Gegner, den sie mit Leichtigkeit hätte besiegen sollen, gelungen, das Blatt zu wenden und sie in ihrem eigenen Spiel zu schlagen.
»Wünscht Mylady vielleicht eine Revanche?«, fragte er in sehr selbstzufriedenem Ton.
Zahirah hob eine Braue, ihr Stolz schrie förmlich nach einer weiteren Partie. »Ich wünsche es nicht nur, Mylord. Ich verlange es sogar.«
9
Zahirah gewann die nächste Partie und hätte eine dritte verlangt, wären sie nicht von einem von Sebastians Soldaten gestört worden. Er brachte Nachricht von einer Lieferung, die seine Anwesenheit im Hafen erforderte. Nachdem Sebastian ihr das Versprechen gegeben hatte, eine weitere Partie mit ihr zu spielen, sobald es seine Zeit erlaubte, verließ Zahirah den Garten.
Froh gelaunt schlenderte sie durch die weit verzweigten Korridore im Herzen des Palastes. Der Gedanke, einen solch herrlichen Tag im Haus zu verbringen, war ihr unerträglich, und so schlug sie nicht den Weg zu ihrer Kammer ein, sondern begab sich zum Harem. Sie hoffte, auf der Dachterrasse, diesem sonnigen Zufluchtsort, den sie bei ihrem Erkundungsgang entdeckt hatte, etwas Einsamkeit und Stille zu finden.
Wie am vergangenen Vormittag kletterte Zahirah über den Balkon der Sultanin auf das Dach, um ein Bad in der Sonne zu nehmen. Mit geschlossenen Augen genoss sie die warmen Strahlen auf der Haut, schwelgte mit allen Sinnen in dieser schlichten Freude. Doch anders als sonst fand sie in diesem Ritual weder Frieden noch Klarheit, ließen sich ihre umherschwirrenden Gedanken nicht ordnen.
Wie sehr sie auch dagegen ankämpfte, immer wieder schweifte all ihr Denken zu ihm. Sein Bild stand vor ihrem inneren Auge: sein verwegenes, schalkhaftes Lachen; seine Augen, diese stürmische Mischung aus Meergrün und Stahlgrau; seine starke und doch so sanfte Hand, deren Wärme sie immer noch zu spüren glaubte.
Sebastian.
Leise murmelte sie den fremden Namen, kostete ihn auf ihrer Zunge wie ein Kind, das eine seltsame, neue Nascherei versucht. »Sebastian
.«
Wie leicht ihr der Name doch über die Lippen kam.
Es hätte sie ersticken müssen, dieses unverhoffte Gefühl, diese seltsame ungewollte Zuneigung für einen Mann, den sie ausschließlich mit Verachtung strafen müsste. Sie redete sich ein, dass sie lediglich froh war, eine gleichgesinnte Seele gefunden zu haben, jemanden, der seine Kräfte ebenso gerne maß und ebenso entschlossen den Sieg erringen wollte wie sie, auch wenn er auf der Seite des Feindes stand. Doch ihre Empfindungen gingen weitaus tiefer, brachten eine nie gekannte Saite in ihr zum Klingen und entfachten eine verwirrende Mischung aus Sehnsucht, Begierde und Verlangen, die heiß wie ein Feuer in ihr loderte.
Noch nie war Zahirah von einem Mann liebkost worden. Raschid ad-Din Sinan hätte jeden getötet, der es gewagt hätte, mit seiner Tochter zu tändeln, einer Tochter, die er sorgsam nach seinem eigenen rücksichtslosen, unerbittlichen Vorbild erzogen hatte. Man hatte ihren Körper und ihren Geist rein von allen Versuchungen gehalten, sie gelehrt, ihren Vater niemals zu enttäuschen, was auch immer er von ihr verlangte. Diese Lektion begriff sie schnell, nachdem sie erfahren hatte, was sie bei dem kleinsten Fehler erleiden musste.
Dunkelheit.
Selbst jetzt noch, in der brennenden Hitze der Mittagssonne konnte sie spüren, wie jener dunkle, kalte Ort sie mit klammen Klauen zu umfangen suchte. Dort, in der schrecklichen, endlosen Leere der Einsamkeit, hatten ihre Albträume ihren Anfang genommen. Die lichtlosen, stillen Stunden, die sie in völliger Verlassenheit ausharren musste, hätten sie beinahe in den Wahnsinn getrieben. Nur das Geräusch ihrer eigenen Atemzüge war zu hören gewesen … und – falls sie es wagte, zu schlafen – die Schreie.
Allah, diese Schreie.
Markerschütternde, furchterfüllte, gequälte Schreie. Sie kannte die Stimmen der Fremden nicht, noch konnte sie ihre Worte verstehen, doch die Furcht war so real, als wären die Schreie aus Zahirahs eigener Kehle gekommen. Sie konnte den Schmerz am eigenen Körper spüren, fühlte die Trauer, die entsetzliche Qual des Verlustes. Jetzt wie damals sah sie einen Namen aus den dunklen Tiefen ihres Gedächtnisses auftauchen, wie ein zerfleddertes Band in einer
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