Das Herz des Ritters
Tier. Manche so grauenhaft, dass sie nicht von dieser Welt zu sein schienen.
Der Name war zu einem Wehklagen geworden, gramvoll und brüchig, voller Verzweiflung. Voller Furcht.
Furcht um sie?, fragte sie sich, während sich Wirklichkeit und Albtraum vermischten. War sie in Gefahr? Eine abgrundtiefe Angst überkam sie. Immer mehr geriet sie in die Fänge des Traumes, stürmisch schlug ihr das Herz in der Brust. Sie hörte sich selbst angstvoll aufschreien. Dann weinte sie.
Weinte um sie.
Gesichtslose, namenlose Menschen, deren Angst sie ebenso spürte wie ihre eigene. Als sei sie ein Teil von ihnen. Durch unsichtbare Fesseln an sie gebunden. Sie streckte sich nach der Hand aus, die nach der ihren griff, doch ehe sich die Finger miteinander verschränken konnten, wurde sie heftig fortgezogen. Sie konnte kaum atmen, so fest zog sich ein eisernes Band um ihre Brust; konnte nichts sehen, denn eine nicht enden wollende Tränenflut verschleierte ihr die Sicht.
Doch sie konnte hören. Welch ein Grauen. Selbst als der Boden sich unter ihr zu bewegen begann, laut wie Donnerhall und schnell wie der Wind, konnte sie die leidvollen Rufe hören, die hinter ihr erklangen. Sie vernahm die Qualen und die Gewalt.
Sie hörte die Stimme eines Kindes; leise und hilflos wimmerte es in der riesigen Leere einer Welt, die plötzlich fremd, grausam und dunkel geworden war.
»Maman
…
«
, hörte sie das Kind weinen.
»Mamaaaan!«
Mit weit ausholenden Schritten lief Sebastian den Korridor entlang, in dem sowohl sein als auch Zahirahs Gemach lagen. Die Flammen der Öllampen, die den dunklen Weg seit Anbruch der Dämmerung erhellten, erzitterten, so schnell eilte er durch den Gang. Er wollte Zahirah umgehend zur Rede stellen und in Erfahrung bringen, ob sie einen Liebhaber hatte – oder über Kenntnisse verfügte, die ihn auf die Spur von Abduls Mörder oder dem gesuchten Assassinen führen konnten.
Schmerz pochte in seinen Schläfen, als er seine Schritte vor Zahirahs Kammer verhielt. Unter ihrer geschlossenen Tür drang kein Licht hervor. Offensichtlich schlief sie, wenngleich auch kaum ruhig, wie die wimmernden Laute von der anderen Seite vermuten ließen. Nachdenklich runzelte er die Stirn. Er hörte sie aufschreien, unverständlich und gequält, doch statt die Tür aufzureißen, wie es sein immer noch brodelnder Zorn verlangte, zögerte er und blieb mit geballter Faust davor stehen.
Zumindest anklopfen wollte er, um ihr sein Kommen anzukündigen. Doch sie hörte sein Klopfen nicht, und als sie erneut aufschrie, legte Sebastian die Hand an den Riegel und trat ein.
»Mylady?«, rief er in die Dunkelheit. Er erhielt keine Antwort, vernahm lediglich, wie sie sich ruhelos im Bett hin- und herwälzte.
Seine Augen hatten sich schnell an die Dunkelheit gewöhnt, und er durchquerte mit raschen Schritten das Zimmer. Irgendetwas knirschte unter seinen Stiefeln. Glas, erkannte er, und Tonscherben. Beides lag auf dem Boden verstreut. Himmel, was war hier geschehen? Als er sich umsah, stellte er fest, dass die Waschschüssel nicht mehr auf dem Tisch stand und von dem Spiegel nur noch der leere Rahmen übrig war. Er hing schräg an der Wand.
Im Bett, verstrickt in ein Gewirr aus Kleidern und Decken, lag Zahirah.
Sebastian ging zu ihr, wollte wissen, welche Albträume sie plagten, denn es war offensichtlich, dass sie litt. Stöhnend warf sie sich hin und her; dabei umklammerte sie das Kissen so fest, als fürchtete sie, man könne es ihr entreißen. Sie murmelte etwas, ein einziges Wort, doch zu leise, um es verstehen zu können. Ein Name vielleicht, doch er war sich nicht sicher.
Er trat näher an das Bett heran, nahe genug, um zu erkennen, dass Tränen ihre Wangen benetzten. Das dunkle Haar fiel ihr offen und wirr über die Schultern, bedeckte ihre Arme, klebte an ihrer Stirn. Sie sah elend aus und so zerbrechlich. Wie ein Kind, allein und verletzlich, voller Furcht.
Behutsam ließ sich Sebastian auf die Bettkante sinken. Er versuchte, den Zorn zu bewahren, der ihn zu Zahirahs Kammer geführt hatte, doch er merkte, wie er angesichts ihrer Verzweiflung schwand. Er strich ihr die feuchten Haarsträhnen aus der Stirn. Sie atmete schwer, keuchte fast, gefangen in den Qualen dessen, was sie im Schlaf verfolgte.
»Nein«, rief sie stöhnend und kämpfte mit den Laken und der Decke. »Nein … bitte … nicht …«
Sebastian legte ihr die Hand auf die Schulter. Er war sich unschlüssig, ob er sie wecken sollte, doch er konnte auch
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