Das Herz des Ritters
ihr die Erlaubnis erteile und sie gehen lasse.« Logans argwöhnische Miene entging ihm selbst im Dämmerlicht nicht. »Jedenfalls«, fuhr Sebastian fort, »erklärt all das nicht, wieso sie mit diesem Mann – wer auch immer er war – allein gewesen ist. Ich hatte Abdul befohlen, nicht von ihrer Seite zu weichen. Er hätte meine Anweisung gewiss nicht missachtet.«
»Vielleicht ist sie ihm irgendwie entschlüpft«, meinte Logan. »Die Dame scheint mir dafür schlau genug. Womöglich ist sie Abduls Aufsicht entronnen.«
»Mag sein, aber zu welchem Zweck? Sie behauptet, mit niemandem in Askalon bekannt zu sein. Wen hätte sie treffen sollen, noch dazu heimlich?«
Logan zuckte die Schultern. »Auf viele Männer in Askalon könnte die Beschreibung der Zeugen zutreffen, übrigens auch auf ihren Bruder. Bedenkt man allerdings, was er ihr vor wenigen Tagen angetan hat, war sie gewiss nicht allzu begierig darauf, sich aus freien Stücken in seine Gesellschaft zu begeben, würde ich meinen.«
Sebastian nahm einen Schluck Wein aus der Feldflasche an seinem Gürtel und dachte über diese Vermutung nach. Der Gedanke, dass Zahirah derart von Verzweiflung ergriffen war, dass sie sogar bereit war, sich mit ihrem gewalttätigen Bruder zu treffen, war ihm zuwider. Vielleicht war sie dennoch zu ihm gegangen. Womöglich um ihn um Gnade anzuflehen oder ihn dazu zu überreden, sie aus dem Palast herauszuholen, den sie mit einem Gefängnis verglichen hatte. Wenn er daran dachte, wie er im Badehaus über sie hergefallen war, konnte er es ihr nicht verübeln, dass sie fortgehen wollte. Wahrscheinlich würde sie jedes Risiko in Kauf nehmen, nur um seiner Gegenwart zu entkommen.
»Konnte sie dir denn gar nichts über den Vorfall berichten, mein Freund?«
Sebastian schüttelte den Kopf. »Als ich sie kurz nach dem Mord bei der Moschee fand, meinte sie nur, es sei alles ihre Schuld. Sie sei verantwortlich für Abduls Tod. Er habe versucht, sie zu beschützen.«
»Er wollte sie beschützen? Vor wem, wenn nicht vor ihrem Bruder?«, fragte Logan gedehnt. Schweigend gingen sie eine Weile nebeneinander her. »Natürlich besteht auch die Möglichkeit, dass sie einen Buhlen hat.«
Abrupt drehte Sebastian den Kopf und bedachte den Schotten mit grimmiger Miene. Zahirah sollte sich mit einem Liebhaber verabredet haben? Die Vorstellung hinterließ befremdlicherweise einen bitteren Geschmack und missfiel ihm, doch nun, da Logan sie geäußert hatte, kam er ins Grübeln. Konnte es sein, dass Zahirah ihn deshalb abgewiesen hatte? Er hatte ihre Unberührtheit wie selbstverständlich vorausgesetzt. Himmel, wenn er wirklich so blind gewesen war! Zu gern hätte er Logans Vermutung rundheraus abgestritten, doch die Möglichkeit, dass sie der Wahrheit entsprach, war nicht von der Hand zu weisen.
»Es wäre nicht das erste Mal, das ein Mann im Streit um eine Frau zu einem Mörder wurde«, meinte Logan.
»Das war kein Mord aus Leidenschaft«, entgegnete Sebastian und dachte daran, dass der Dolch ganz eindeutig das beste Ziel gefunden hatte, um Abduls Leben zu beenden. »Der Stoß in sein Herz ist kaltblütig von einer geübten Hand ausgeführt worden.«
»Der Assassine?«, fragte Logan mit einem Seitenblick. »Glaubst du, unser Fida’i hat Abdul getötet?«
Sebastian hob eine Braue; je länger er darüber nachdachte, desto wahrscheinlicher erschien ihm dieser Gedanke. »Nur eine Person kann uns diese Frage beantworten«, sagte er, als sie sich den bewachten, von Fackeln beleuchteten Palasttoren näherten. »Und sie wird sie mir beantworten.«
Jemand rief ihren Namen.
Zahirah warf sich unruhig auf ihrem Bett hin und her, schwebte zwischen Schlummer und Wachsein, die Gedanken in einem Traum gefangen, der sie wie ein Kokon umhüllte und immer tiefer in den bodenlos schwarzen Abgrund des Schlafes riss. Sie wusste, wohin dieser lichtlose Pfad führte. Sie wollte ihm nicht folgen, wollte sich nicht in die Tiefe ziehen lassen, doch sie war zu schwach, um in dieser Nacht dagegen anzukämpfen.
Wieder vernahm sie ihren Namen, klagender nun, da sie dem Ruf des Traumes nachgegeben hatte. Eine Hand griff nach ihr durch den Nebel, bleich wie Elfenbein; schlanke Finger streckten sich nach ihr aus, doch sie bekamen nichts zu fassen außer Luft. Höher stieg der Nebel, brannte in ihren Augen und ihrer Kehle. Es war Sand. Sie wusste es, als sie die Körner zwischen ihren Zähnen spürte.
Sand und Wind.
Und Schreie.
Manche von Menschen. Manche wie von einem
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