Das Herz des Ritters
christlichen Freunde trauern würde, berührte sie tief.
Wie schwer fiel es ihr doch, in Sebastian das Bild der Kreuzfahrer wiederzuerkennen, das ihr Vater gemalt hatte: kalte, rücksichtslose Unholde, heidnische Schurken, die nicht innehalten würden, ehe sie nicht alles Muslimische zerstört hatten. Sebastian war ihr nie mit solch blinder Voreingenommenheit begegnet. Und sein Kummer jetzt war echt. Ebenso wie seine Freundschaft mit Abdul es gewesen war.
Sein Mitgefühl war mehr, als sie ertragen konnte. Es war ebenso schwer auszuhalten wie die Bürde ihrer eigenen Ehrlosigkeit, die sie nicht widersprechen ließ, als Sebastian sich die Schuld am Tod seines Freundes gab. Seine Freundlichkeit und Güte bereiteten ihr unerträgliche Pein und erfüllten sie mit Scham, doch sie besaß nicht den Mut, ihm ihre Rolle in dieser Tragödie zu beichten. Mit der wenigen ihr noch verbliebenen Kraft rollte sie sich zur Seite und kehrte ihm den Rücken zu. »Bitte«, sagte sie mit brüchiger Stimme. »Ich würde jetzt gern ein wenig ruhen.«
»Natürlich«, antwortete er nach einem Moment des Schweigens. Er beugte sich vor und strich ihr übers Haar. Zahirah musste ein Schluchzen unterdrücken, so zärtlich war seine Berührung, eine Zärtlichkeit, die sie nicht verdient hatte. Taub und schwarz war ihr Herz. »Ruht Euch aus, Mylady. Ich werde Euch eine Magd schicken, die Euch beim Waschen und Wechseln Eurer Kleider hilft.«
»Nein, bitte tut das nicht«, erwiderte sie. »Ich möchte keine Hilfe. Ich möchte niemanden sehen.«
»Nun gut.« Die Matratze senkte sich unter seinem Gewicht, als er sich auf die Bettkante setzte. »Dann werde ich bleiben, bis Ihr eingeschlafen seid. Ihr habt eine wahre Tortur durchgemacht. Ihr solltet jetzt lieber nicht allein bleiben.«
Aber sie war schon längst allein, insbesondere an diesem Ort, und je länger er hier bei ihr wachte, desto schmerzlicher wurde diese Erkenntnis. »Bitte geht, Sebastian«, flehte sie ihn mit erstickter Stimme an. »Ich möchte auch nicht, dass Ihr bleibt. Bitte … ich muss jetzt einfach allein sein.«
Mit nachdenklicher Miene erwog er ihre Bitte, während ein Teil von ihr nichts sehnlicher wünschte, als dass er ging. Ein anderer, unvernünftiger Teil jedoch hoffte inständig, dass er ihr die Bitte abschlagen würde. Das aber würde sein Stolz niemals zulassen, wie sie wusste. Wortlos erhob er sich und durchquerte die Kammer. Auf der Schwelle hielt er unvermittelt nochmals inne.
»Ihr sollt wissen, Zahirah, ich bin nicht Euer Feind.«
Mit diesen Worten verließ er das Zimmer und schloss die Tür hinter sich. Zahirah lag im Bett, lauschte eine Weile in die Stille hinein, dann richtete sie sich auf. Ihr Dolch steckte immer noch unter der Tunika, wo sie ihn nach der Auseinandersetzung mit Halim verborgen hatte. Der Griff ruhte an der nackten Haut ihrer Hüfte, kalt wie Eis.
Sie zog die Waffe heraus und wog sie in den Händen. Vor gar nicht allzu langer Zeit hatte sie die kunstvolle Arbeit aus Masyaf-Stahl bewundert, hatte die tödliche Schönheit zu schätzen gewusst. Nun aber, da sie in ihren blutbefleckten Fingern ruhte, da sie sich die Hände mit dem Tod eines unschuldigen Mannes besudelt hatte, erschien ihr die elegante, lange, glänzende Klinge abgrundtief böse.
Nie war ihr etwas so falsch erschienen.
Angewidert und durcheinander glitt Zahirah aus dem Bett und kniete davor nieder. Sie sprach ein Gebet für Abduls Seele, dann hob sie die Ecke der dicken Matratze an und schob den Dolch tief darunter, in der Hoffnung, damit auch ihre Zweifel verschwinden lassen zu können.
Was war nur los mit ihr? Sie wusste, wie gefährlich es war, den Glauben infrage zu stellen, in dem sie aufgewachsen war. Sie hatte gesehen, wie Mitglieder ihres Clans ermordet wurden, weil sie es gewagt hatten, die Lehren ihres Vaters anzuzweifeln. Wer war sie, dass sie nun an ihm zweifelte? Wie schwach war ihr Herz, dass sie die Wichtigkeit, die göttliche Absicht ihrer Mission infrage stellte?
Ich bin die Tochter von Raschid ad-Din Sinan,
mahnte sie sich streng. Sie war eine geschickte
Assassinin, keine weinerliche Frau, die über den Tod eines Mannes vor Kummer außer sich geriet. Abdul war ein Irrtum, ein bedeutungsloses Opfer, nicht mehr. Sein Tod änderte nichts. Tatsächlich erhöhte er sogar das Risiko ihrer Mission, denn nun würden die Kreuzfahrer ein noch wacheres Auge auf die Bewohner der Stadt haben, sie selbst eingeschlossen.
Zahirah versuchte, dieses Gefühl aufkeimender
Weitere Kostenlose Bücher