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Das Herz des Satyrs: Roman (Knaur TB) (German Edition)

Das Herz des Satyrs: Roman (Knaur TB) (German Edition)

Titel: Das Herz des Satyrs: Roman (Knaur TB) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Amber
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hatte. Wie er an das Kleidungsstück gekommen war, wusste er nicht mehr. Um genau zu sein, wusste er vieles nicht mehr aus der Zeit nach dem Tod seiner Eltern. Er war betrunken gewesen. Vier lange Jahre.
    »Worauf starrst du da?«, fragte Sevin einen Augenblick später.
    »Auf einen Hinweis, wo sich die vermissten Relikte der Göttin Vesta befinden könnten.« Er schob seine Sichtgläser auf die Stirn und ging zu einem der Bücherregale. Im Licht der Lampen warf sein muskulöser, großer Körper einen eindrucksvollen Schatten an die Innenwände des weißen Zeltes. An den Wänden entlang standen stabile Regale, gefüllt mit dicken Nachschlagewerken, wertvollen Keramikstücken, Landkarten und antiken Artefakten, allesamt peinlich genau eingeordnet und katalogisiert. Ordnung und Pläne – das bedeutete geistige Gesundheit und Nüchternheit für Bastian, und er war fest entschlossen, beides zu bewahren.
    Er fand, was er suchte – Roman Antiquities , das bekannteste Werk von Alexander Adam, blätterte zu einer bestimmten Passage und las laut: »›Vestalische Jungfrauen wurden erwählt … von Pontifex Maximus, der … aus dem Volke zwanzig Mädchen von mehr als sechs Jahren auswählte … frei von jeglichem körperlichen Makel … Durch Losentscheid in einer Volksversammlung wurde bestimmt, welche dieser Mädchen berufen werden sollten. Daraufhin nahm Pontifex Maximus diejenige, auf die das Los fiel, von ihren Eltern mit den Worten entgegen: Te Amata Capio.‹«
    Triumphierend sah Bastian auf. »Da ist es, siehst du?«
    »Nein«, antwortete Sevin, während er, mehr mit Kraft als Finesse, weiterpolierte.
    » Amata «, wiederholte Bastian geduldig und zeigte auf den Schreibtisch. »Dort eingeritzt, auf dieser Scherbe, die heute in der Nähe des Tempels von Kastor und Pollux gefunden wurde. Keine fünfzig Fuß von hier. Amata war ein allgemeiner Ehrentitel, den alle Vestalinnen trugen.«
    »Aha.« Sevin verstand allmählich.
    »Genau!« Bastian klappte das Buch zu und stellte es zurück ins Regal, in perfekter Ausrichtung zu den anderen. Er trat zurück an seinen Schreibtisch und setzte die Sichtgläser wieder auf, um die Scherbe zu begutachten. Viertes Jahrhundert, schätzte er.
    »Und wie unser Vater glaubst auch du, dass die Vestalischen Jungfrauen der Schlüssel sind, um die Magie zu verstärken, die verhindert, dass die Menschen unsere Existenz entdecken?«
    »Nicht die Jungfrauen selbst, wie Vater behauptete. Nein, die Relikte, die sie hüteten, sind das, was ich suche. Die Philosophen der Antike bezeichnen sie als Steine oder Relikte, aber ich glaube, es handelte sich dabei um eine Art Edelsteine. Und ich glaube, sie sind der Schlüssel.«
    Bastian verstummte abrupt, als er ein Prickeln im Nacken spürte. Etwas Altes rührt sich irgendwo tief in der Erde . Er legte die jahrhundertealte Terrakottascherbe vorsichtig auf den Schreibtisch zurück, während alle seine Sinne in Alarmbereitschaft waren.
    Direkt ihm gegenüber, nahe der Zeltöffnung, erschien urplötzlich aus dem Nichts ein Nebel. Bastian blinzelte und versuchte, herauszufinden, ob es nur der lästige Ilari war, der wieder auftauchte, um ihm mit seinem Geschwätz auf die Nerven zu gehen, oder ob es sich um eine wirkliche Erscheinung handelte; dann fiel ihm ein, dass er noch immer die Sichtgläser trug. Sie waren für genaue Untersuchungsarbeiten gedacht und bestanden aus dicken Gläsern, die seine Umgebung stark vergrößerten, so dass er Dinge, die sich weiter als dreißig Zentimeter entfernt befanden, nicht mehr klar erkennen konnte. Er riss sich die Gläser von der Nase. Und sah – sie.
    Direkt im Eingang stand ein Mädchen von ungefähr sechs Jahren. Abgesehen von einem wilden, langen Haarschopf war sie bleich wie ein Geist. Und ebenso unwirklich. Aufregung wallte in ihm auf. Eine Vision. Die erste seit Monaten. Er hatte sich schon gefragt, ob ihn seine Gabe verlassen hatte. Jeder Muskel seines Körpers angespannt, erhob er sich langsam aus dem Ledersessel.
    Sevin sagte irgendetwas, erhielt aber keine Antwort. Daraufhin richtete er sich in seinem Sessel auf und nahm die Beine vom Hocker. Schnell wurde ihm klar, was da gerade vorging, und er sagte nur: »Keine Stunde mehr bis Vollmond, großer Bruder.«
    Die Erscheinung zuckte zusammen, als habe sie nicht bemerkt, dass sich in dem Zelt zwei Männer befanden. Bastian folgte ihrem Blick zu seinem Bruder. Sevin fluchte. Natürlich war Sevin zu Recht bestürzt, dachte Bastian unbeteiligt. Der

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