Das Herz einer Löwin: Roman (German Edition)
den schwachen Schrei eines Fuchshabichts. Immer lauter wurde der Chor, je mehr Vögel einfielen und ihren Gesang hinzufügten.
Aber sie vernahm auch noch ein anderes Geräusch draußen – ein leises Brummen wie ein Schwarm Bienen in der Ferne. Angel setzte sich auf. Ihr Kopf streifte den Stein über ihr, und die Spinne huschte davon. Das Geräusch wurde lauter, und sie erstarrte vor Überraschung, als ihr klarwurde, was es war. Ein Flugzeug näherte sich. Es klang wie eine kleine Maschine, wie die, die der Flying Doctor Service benutzte. Die Ärzte kamen nie in die Dörfer, um Leuten wie Walaita zu helfen, aber Angel hatte sie auf der Landebahn am Hospital der Sisters of Mercy landen sehen. Die Piloten waren herausgesprungen, und ihre schicken weißen Uniformen zeigten, dass sie ihren Tag weit weg vom Busch begonnen hatten. Touristen und Leute, die die Wildtiere studierten, benutzten die kleinen Flugzeuge ebenfalls; manchmal waren sie mit Streifen bemalt wie ein Zebra.
Angel kroch durch das Eingangsloch und starrte in Richtung des Flugzeugs. Da war es – hinten am Horizont wie ein Raubvogel, der immer näher kam.
Alarmiert blickte Angel ihm entgegen. Ihr wurde plötzlich klar, dass sie nach ihr suchten. Sie sah schon, wie es landete und die großen Krallenfüße ausstreckte, die sie packen und davontragen würden. Wie eine junge Gazelle wäre sie dem Wüstenadler ausgeliefert.
Sie wich in die Höhle zurück und suchte Schutz in den Schatten. Die Löwenjungen waren mittlerweile wach geworden. Sie schienen ihre Angst zu spüren, bewegten sich unruhig und spitzten die Ohren. Angel holte sie dicht zu sich. Sie legte den Arm um Girl und hielt sie fest – sie war die Neugierige, die immer als Erste an der Beute probierte oder die Nase ins Wasser steckte.
»Nein«, sagte Angel fest, als sie sich fauchend aus ihrem Arm zu winden versuchte. »Du kannst jetzt nicht hinaus.« Dann wandte sie sich an Mdogo, den Kleinsten aus dem Wurf, der am ängstlichsten war. Sie drückte die Wange an seinen Kopf. »Es ist alles in Ordnung. Hier sind wir sicher.«
Ihre Stimme klang ruhig, aber ihr zog sich doch der Magen vor Angst zusammen. Es würde leicht für den Piloten sein, in der Wüste zu landen – sie war wie eine große Landebahn. Und wenn jemand sich vor der Höhle umschaute, würde er sofort die Spuren eines Mädchens sehen.
Angel schloss die Augen. War es möglich, dass Laura gefunden worden war? Dass sie gemerkt hatten, dass ihre kleine Tochter fehlte? Sie dachte daran, wie der dunkelrote Pass durch die Luft geflogen und hinter einem Busch gelandet war. Hatte ihn jemand entdeckt? Wenn man sie fand, würde sie zu ihrem Onkel nach England geschickt, das wusste Angel. Und dann würde sie Mama Kitu und Matata nie wiedersehen.
»Ihr bekommt mich nicht«, sagte sie laut.
Sie blickte auf das flachgedrückte Gras, wo die Löwin sich ausgestreckt hatte. Sie hatte stark und beruhigend neben ihr gelegen. Selbst wenn Angel gewollt hätte, dass man sie fände, so hätte sie nie zugelassen, dass die Löwenjungen mit nach draußen kämen. Sie hatte gesehen, wie sorgfältig die Löwin nach einem sicheren Schutz für ihre Jungen und Angel gesucht hatte, damit ihnen nichts passieren konnte, während sie weg war.
Als das Flugzeug dicht über ihre Köpfe flog, drängten sich die Jungen eng an Angel und versuchten, ihre Köpfe unter ihre Arme zu stecken. Selbst Girl war wie gelähmt vor Angst.
Angel saß ganz still und lauschte auf das Motorengeräusch. Vielleicht konnte sie ja hören, ob sich das Flugzeug zur Landung vorbereitete. Aber dann stellte sie erleichtert fest, dass das Geräusch leiser wurde und sich entfernte – das Flugzeug flog davon.
Sie lächelte über ihre Angst. Das Flugzeug konnte ihr nichts tun. Es wusste ja niemand, dass sie hier war. Um sich zu beruhigen, spielte sie sämtliche Möglichkeiten im Kopf durch. Die Chancen, dass ein Rinderhirte sich in dem Teil der Wüste aufhalten würde, wo sie Laura zurückgelassen hatte, war gering. Die Chance, dass andere Leute hier durchkamen, war sogar noch geringer. Die Einzigen, die sich wegen der Kameldame und ihrer Tochter Sorgen machen würden, waren die Nonnen bei den Barmherzigen Schwestern oder die Leute aus dem Dorf – wie Zuri –, die in der Feigenbaum- manyata lebten. Aber Angel und Laura waren erst vor wenigen Tagen aufgebrochen, und alle wussten, dass sie in die Stadt wollten. Angel atmete tief durch. Aber dann fielen ihr die Kamele ein. Wenn jemand sie
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