Das Herz einer Löwin: Roman (German Edition)
Desinfektionsmittel, eine Dose, auf der »Stockholm Tar« stand, und einen Stapel Tupfer und Verbände. Auf einem Teller lag eine große Injektionsnadel neben zwei ebenso überdimensionierten Spritzen.
»Da«, hauchte Daniel, »jetzt habe ich es geöffnet.« Er tupfte den Fuß ab. Als er ihn anhob, sah Emma, dass die Gaze gelb von Eiter war. Daniel goss reichlich Desinfektionsmittel über die Wunde und kratzte erneut das Loch aus. Dann öffnete er die Dose mit Teer und schmierte ihn über das rohe Fleisch.
Schließlich hockte er sich auf die Fersen. Mit dem Unterarm wischte er sich die Stirn ab. »Sie fühlt sich wahrscheinlich jetzt schon besser. Der Druck ist weg.« Er bedeutete Mosi, ihm die Nadel zu geben. Mit einem kräftigen Stoß rammte er sie dem Kamel in die Schulter. Dann setzte er eine Spritze darauf und drückte den Kolben hinunter. Als sie leer war, verfuhr er mit der zweiten Spritze genauso. Unter dem Fell bildete sich eine Beule, groß wie ein Hühnerei. »Tetanus und Terramycin.« Zufrieden lehnte er sich zurück. »Ich bin fertig.«
Emma blickte in Mama Kitus schimmernde braune Augen. Die Lider sahen aus, als wären sie mit Kajal umrandet. Die Wimpern waren lang und dicht.
»Du bist ein schönes Mädchen. Und du warst so brav. So brav …«
Daniel lachte. »Sie reden wie eine Mutter …«
Emma ging in ihr Zimmer, um ihre Kleider zu wechseln, die Teerflecken abbekommen hatten und nach Desinfektionsmittel rochen. Auf dem Weg nach draußen blieb sie im Flur an den beiden Satteltaschen und den Stapeln mit ihrem Inhalt stehen. Bei den Kleidungsstücken war auch ein dicker Strang Menschenhaar, der in einen Griff mit bunten Perlen eingelassen war. Es sah aus wie ein weiterer Kunstgegenstand der Massai. Emma wollte ihn sich gerade näher anschauen, als ihr Blick auf etwas Rotes fiel – es war das Strickzeug, das auf einem anderen Stapel Kleider lag. Selbst im schwachen Licht konnte sie erkennen, dass Grasstückchen dazwischen hingen. Sie nahm das Strickzeug und setzte sich damit auf die Treppe an der Hintertür. Dort saß sie im Schatten, nur ihre Beine ragten in die Sonne. Sie rollte das Strickzeug auf und begann, die Gräser, Körner und Sprossen herauszuziehen. Aus der Ferne hörte sie die Stimmen von Daniel und Mosi, die am Land Cruiser arbeiteten. Es klang so, als ob sie sich gut verstünden. Emma vermutete, dass Daniel ein Mensch war, der mit jedem gut zurechtkam. Simon war das genaue Gegenteil. Er konnte sehr brüsk zu Leuten sein, die er nicht gut kannte, und er suchte sich seine Freunde sorgfältig aus. Fast alle waren Wissenschaftler – Leute, mit denen interessante Gespräche gewährleistet waren.
Als sie die letzten Grassamen herausgepickt hatte, betrachtete Emma den fertigen Teil des Schals. Das Strickzeug gehörte vermutlich Angel: Nadeln und Wolle waren dick, die Maschen gleichmäßig. Die Nadeln steckten in dem Wollknäuel, damit keine Maschen verlorengehen konnten, aber Emma zog sie heraus und wickelte ein wenig Wolle ab. Zögernd wog sie die Nadeln in der Hand, stach mit einer in die Masche und legte die Wolle darum. Sie strickte eine neue Masche und ließ die alte darübergleiten. Nach und nach fiel ihr wieder ein, wie Susan mit sanftem Druck ihre Finger geführt hatte. Sie hörte wieder das friedliche Klappern der Nadeln und roch Susans pudriges Parfum. Aber gerade, als sie in diese Erinnerungen eintauchen wollte, drängte sich eine andere in den Vordergrund. Statt Susan war auf einmal Rebecca da, Emmas Stiefmutter. Sie saß in ihrem Lieblingskorbsessel am Fenster und strickte. Ihre Hände ruhten auf ihrem riesigen Bauch. Sie strickte zwei Stücke von allem – Jäckchen und Strampler –, weil sie Zwillinge erwartete.
»Willst du nicht auch ein bisschen stricken?«, fragte sie Emma.
Emma schüttelte nur den Kopf.
»Ach komm, ich zeige es dir«, versuchte Rebecca, sie zu überreden.
»Nein danke.« Emma wusste, dass ihre Stimme eine Spur zu laut, beinahe ungezogen war. »Du machst es sowieso nicht so wie meine Mummy. Du hältst die Nadeln falsch.«
Rebecca schaute sie einen Moment lang an, die Lippen fest zusammengepresst. Schließlich sagte sie leise und traurig: »Ich verstehe.«
Emma war aus dem Zimmer gegangen. Ihr war klar, dass sie schon wieder die Gefühle ihrer Stiefmutter verletzt hatte. Sie war zufrieden und schuldbewusst zugleich gewesen. Es war nicht das erste Mal, dass sie Rebeccas Annäherungsversuche zurückwies – Emmas Stiefmutter hatte versucht,
Weitere Kostenlose Bücher