Das Herz einer Löwin: Roman (German Edition)
hingebungsvolle Forscherin gewesen, sie hatte auch keine Angst gehabt. Wenn sie gerufen wurde, hatte sie nie abgelehnt.
Emma hatte gerade ferngesehen, als Susan den Anruf erhielt, der sie auf ihre letzte Mission schickte. Manchmal rief das CDC mitten in der Nacht an, aber dieses Mal war Susan gerade aus dem Labor nach Hause gekommen. Gleich würde auch Emmas Vater von der Arbeit kommen, und sie würden gemeinsam zu Abend essen. Das Essen hatte Mrs. McDonald für sie vorbereitet. Emma wusste sofort, wer da anrief. Sie erkannte den Ausdruck auf Susans Gesicht, so als ob alles um sie herum, Emma eingeschlossen, plötzlich klein und unbedeutend geworden wäre. Susan stellte die üblichen drängenden Fragen. Dann hielt sie kurz inne, nachdem sie den Hörer aufgelegt hatte, um dann sofort aktiv zu werden. Emma lief hinter ihr her, sah zu, wie sie den von den vielen Reisen abgenutzten Koffer vom Schrank im Schlafzimmer holte. Arbeitskleidung wurde aus Kommodenschubladen genommen. Der Toilettenbeutel wurde gepackt. Die Brieftasche mit dem Pass aufs Bett gelegt.
»Was ist mit meiner Party?«, fragte Emma.
»Ich bin bald wieder da«, sagte Susan. »In drei oder vier Wochen, vielleicht auch weniger. Dann feiern wir deinen Geburtstag.«
»Aber wir haben doch schon die Einladungen verschickt.« Emma hatte sie selbst gemacht und jede mit einer großen Sieben, die sie aus Geschenkpapier ausgeschnitten hatte, verziert.
»Es tut mir leid, Schatz«, sagte Susan. »Du weißt, dass ich fahren muss. Mrs. McDonald wird Daddy bei der Party helfen. Das macht sie bestimmt gerne. Und ich bringe dir etwas Besonderes mit.«
»Nein«, protestierte Emma. »Ich will, dass du an meinem Geburtstag hier bist. Sag ihnen, du kannst nicht – nur dieses eine Mal. Bitte.«
Sie versuchte, Susan dazu zu bewegen, wieder ans Telefon zu gehen, aber ihre Mutter packte einfach weiter. Bei Feldforschung musste man auf Notfälle reagieren, und Epidemien richteten sich nicht nach dem Terminkalender.
Als das Auto kam, saß Emma in der Einfahrt und spielte mit dem Kies. Der Kotflügel des Kombis kam direkt neben ihr zum Halten, und die großen Buchstaben der Aufschrift waren nur eine Armeslänge von ihr entfernt. United States Centre for Disease Control. Als der Fahrer mit Susan ins Haus ging, um ihr mit dem Gepäck zu helfen, stand Emma auf, in jeder Hand Kies. Sie schleuderte ihn aufs Auto, dann bückte sie sich und füllte ihre Hände erneut.
Daran erinnerte sie sich noch am lebhaftesten. Nicht an die Verabschiedung, die dann folgte. Dabei presste Emma ihr Gesicht in die Haare ihrer Mutter, die immer ein bisschen nach Chemie rochen. Sie erinnerte sich auch nicht an den letzten Kuss oder die letzten Versprechen. Nur an das Geräusch, mit dem die Steinchen auf die glänzende Karosserie trafen und anschließend wieder zu Boden prasselten.
Emma starrte in das Innere der Kabine. Sie hielt immer noch die Vorhänge umklammert. Als ihr Vater ihr gesagt hatte, dass Susan tot war, hatte sie diese letzten Erinnerungen sorgfältig in ihrem Gedächtnis bewahrt. Aber alle anderen Erinnerungen an ihre Mutter waren nur bruchstückhaft – Liedzeilen, das Gefühl eines Kusses auf die Stirn, eine Hand, die die ihre bei einem Spaziergang im Park festhielt. Ihre Mutter war regelmäßig weg gewesen, seit Emma ein paar Monate alt gewesen war, aber sie hatte nur vage Erinnerungen daran. Jetzt, hier in diesem stillen Raum, versuchte sie, mehr Bilder heraufzubeschwören, sich an mehr Details der zahlreichen Abschiede zu erinnern, die stattgefunden haben mussten. Aber stattdessen sah sie Simons Rücken vor sich, wenn er wegging, die Reisetasche über die Schulter gehängt. Simon, der über die Rollbahn zu einem kleinen Flugzeug lief. Simon winkend auf dem Deck eines Schiffes. Vor ihm war es Jason, der Pilot, gewesen, der sie zurückgelassen hatte. Und davor der Schauspieler, der es sich nicht leisten konnte, ein Engagement abzulehnen, das seiner Laufbahn förderlich war.
Sie blickte in die dunkle Kabine, und die üblichen Gedanken tanzten in ihrem Kopf. Sie redete sich ein, dass mit ihr etwas nicht stimmte. Sie war nicht interessant, nicht attraktiv genug, und deshalb wollten die Männer nicht bei ihr bleiben. Vielleicht musste sie sich ja ändern. Dann jedoch wanderten ihre Gedanken in eine neue Richtung. Vielleicht hatte es ja gar nichts damit zu tun, wer sie war. Vielleicht hatte sie sich unbewusst immer Männer ausgesucht, die sie ständig allein ließen? Das Muster,
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