Das Herz einer Löwin: Roman (German Edition)
hütet. Und du bist auch stärker als er. Im Kampf besiegst du ihn immer.
Angel ergriff einen Stein, stand auf und drehte sich zu den Geiern um.
Aber sie blickten sie gar nicht an. Ihre gekrümmten Schnäbel wiesen alle in die gleiche Richtung – rechts von ihr. Sie folgte ihrem Blick, und neue Angst stieg in ihr auf, als sie sah, weshalb sie in Aufruhr gerieten.
Fisi. Hyänen.
Es war ein ganzes Rudel. Sie waren noch ein Stück entfernt, kamen aber mit ihrem seltsam schwankenden Gang rasch näher. Die Hyäne an der Spitze stieß ein Geheul aus, das wie irres Gelächter klang.
Matata blökte verängstigt, und Mama Kitu hob besorgt den Kopf. Angel blickte von den Hyänen zu den Kamelen und überlegte, ob sie besser aus dem Schutz der Felsen zu ihnen laufen sollte. Mama Kitu würde sie bestimmt in die Flucht schlagen.
Sie vergeudete kostbare Momente mit der Überlegung, ob sie es noch rechtzeitig schaffen könnte, weil sie nicht auf offenem Gelände den Hyänen entgegentreten wollte. Und dann waren die Hyänen am Grab, knurrten und husteten, als sie an den Steinen schnüffelten. Entsetzt beobachtete Angel sie. Das größte Tier musste bei einem Kampf verletzt worden sein, aus einer Wunde im Hals baumelte etwas Rosafarbenes. Langsam wandte es ihr seinen räudigen Kopf zu. Erneut lachte die Hyäne, ein unheimlicher Laut.
Angel packte Lauras Tasche und schwang sie in Richtung des Kopfes der Hyäne. Es klatschte dumpf, als das feste Leder auf den behaarten Schädel traf. Die Hyäne zuckte zurück, kam aber mit gefletschten Zähnen sofort wieder auf sie zu.
Immer dichter rückten die Hyänen an Angel heran. Ihr modriger Geruch hüllte Angel ein, die stumm vor Angst war. Immer wieder schwang sie die Tasche. Die Tiere heulten wütend auf, wichen aber nur wenige Schritte zurück, bevor sie sich erneut näherten. Schließlich stieß Angel einen Schrei aus.
»Mama! Mama!« Sie wusste zwar, dass niemand da war, der ihr helfen konnte, aber die Worte kamen ihr ganz automatisch über die Lippen. »Mama. Mama …«, schluchzte sie. »Bitte, hilf mir.«
Schwach hörte sie, wie die Kamele vor Panik laut brüllten. Die Luft war von Lärm erfüllt. Das Atmen und Schnüffeln der Hyänen, das aufgeregte Krächzen der Geier, die die Szene beobachteten. Und ein hoher, dünner Schrei – wie von einem Neugeborenen –, der anscheinend aus ihrem Mund kam.
Und dann auf einmal war noch ein weiterer Laut zu hören. Ein lautes, tiefes Grollen. Es rollte über das Land und übertönte alles. Die Hyänen spitzten die Ohren und drehten die Köpfe mit den stumpfen Schnauzen zur Ebene hin.
Eine Löwin kam herangetrottet. Sie bewegte sich mit langen Schritten. Ihr Fell schimmerte in der Nachmittagssonne. Als sie den flachen Stein erreichte, wo Laura und Angel ihr Frühstück gegessen hatten, blieb sie stehen. Sie warf den Kopf zurück und brüllte wieder, wobei sie ihre großen Zähne und eine lange, rosafarbene Zunge zeigte.
Angel starrte sie an. Aus dem Augenwinkel sah sie, wie die Hyänen zurückwichen. Die große Hyäne blieb am längsten stehen, scharrte auf dem Boden und knurrte. Aber als die Löwin näher kam, senkte auch sie den Kopf und schlich davon.
Angel hörte ein knackendes Geräusch bei den Kamelen und erstarrte. Mama Kitu stieg erschrocken, und der Ast, an dem sie festgebunden gewesen war, hing jetzt lose am Führungsseil und schlug ihr gegen die Beine. Angstvoll galoppierte sie den Hügel hinauf, und Matata folgte dicht dahinter.
Angel drückte sich gegen den Felsen, als die Löwin auf sie zukam. Sie wusste, dass jetzt nichts mehr sie retten konnte. Sie dachte an die blutigen Kadaver, die der Metzger vor seinem Dorfladen in die Bäume hängte, an das weiße Fett und das rote Fleisch, um das die Fliegen schwirrten. Ihr Herz raste vor Entsetzen, und sie bekam keine Luft mehr. Aber dann durchfuhr sie ein Gedanke. Sie würde hier sterben wie Laura. Sie würde nicht weiterleben müssen. Plötzlich beruhigt, schloss sie die Augen und wartete darauf, dass die Löwin sich auf sie stürzte.
Um sie herum war es ganz still. Sie lauschte auf das Geräusch der Tatzen des Tieres, hörte aber nichts außer dem üblichen Gezwitscher der Vögel und dem Summen der Insekten. Langsam begann sie, sich zu fragen, ob ihr die Löwin wohl nichts tun würde. Aber dann drang ein dumpfer Moschusgeruch in ihre Nase. Sekunden später streifte warmer Atem ihr Gesicht. Sie öffnete die Augen. Die Löwin stand direkt vor ihr. Das hellbraune Kinn und
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