Das Herz einer Löwin: Roman (German Edition)
das Maul waren mit frischem Blut beschmiert. Wie betäubt vor Angst sah Angel, wie sich der Kiefer öffnete. Sie sah schwarzes Zahnfleisch, scharfe Zähne, eine rosa Zunge. Ein leises Grollen drang aus der Kehle der Löwin. Aber statt sich zu einem Brüllen zu steigern, wurde es zu einem leisen hohen Ruf, der wie der Ton eines Liedes in der Luft hing. Angel öffnete überrascht den Mund. Sie hob den Kopf und blickte die Löwin an. Einen Moment lang schaute sie wie gebannt in die goldenen Augen des Tieres. Aber dann hörte sie auf einmal aus den Tiefen ihrer Erinnerung Zuris Stimme im Kopf. »Blick nie einem wilden Tier direkt in die Augen, wenn du keinen Kampf anfangen willst.« Sie senkte den Kopf und wandte ihn ab. Aus dem Augenwinkel sah sie, wie die Löwin erneut das Maul aufriss. Und dann spürte sie, wie die lange Zunge über ihre Wange leckte.
Und wieder ertönte der melodische Ruf – dieses Mal sogar noch leiser, fast wie ein Murmeln. Angespannt stand Angel da, als sie plötzlich eine Bewegung hinter der Löwin wahrnahm. Vorsichtig drehte sie den Kopf und sah ein geflecktes Jungtier. Es blickte sie aus runden, gelben Augen an, die Lider sauber mit Schwarz umrandet. Ein zweites Jungtier tauchte auf; dann ein drittes. Die Löwin ignorierte sie. Sie trat einen Schritt zurück und schien auf Angels Reaktion zu warten. Als Angel sich nicht rührte, senkte die Löwin den goldbraunen Kopf und stupste sie an. Als das immer noch keine Wirkung zeigte, stieß sie Angel erneut an.
Angel ging um den Felsen herum, und die Löwin folgte ihr. Ängstlich und verwirrt stolperte das Kind vorwärts. Die Löwin folgte ihm den Hügel hinauf, vorbei an dem Baum, an dem Mama Kitu festgebunden gewesen war. Die drei Jungen sprangen um Angels Füße und berührten mit ihren feuchten Nasen ihre Zehen.
Als sie oben auf dem Hügel angekommen waren, trat die Löwin neben Angel. Jetzt gingen sie nebeneinanderher. Angel hob den Kopf und achtete auf den Weg. Instinktiv spürte sie, dass sie jetzt nicht stolpern durfte. Sie durfte nicht hinfallen wie jemand, der schwach und nutzlos war. Sie musste tapfer und stark wirken. Sie schwang ihre Arme und zwang ihre zitternden Beine zu einem stetigen, sicheren Gang. Hinter ihr schien die Sonne des Spätnachmittags und warf den Schatten ihres schlanken Körpers auf den Boden. Die Schatten der Löwenjungen spielten um ihre Füße herum, und neben ihr trottete die Schattenlöwin, stark und furchtlos, über das Land.
2
E mma beugte sich vor und betrachtete forschend den staubigen Weg, der sich bis zum Horizont erstreckte. An beiden Seiten war er gesäumt von niedrigen Büschen, Steinhaufen und gelben Flecken von getrocknetem Gras. Hier und dort spendete eine Akazie spärlichen Schatten. Es war noch nicht einmal neun Uhr morgens, aber der Tag war bereits heiß. Emmas Bluse klebte feucht an ihrer Haut.
»Ich glaube, wir müssten allmählich da sein«, sagte sie zu dem Fahrer.
»Wir finden es gleich«, erwiderte Mosi. »Machen Sie sich keine Sorgen.«
Er bremste abrupt, als sie an ein tiefes Schlagloch kamen. Der Land Cruiser glitt seitwärts auf einen Sandflecken, und Emma hielt sich am Armaturenbrett fest. Mosi musste das Lenkrad herumreißen, um den Wagen wieder auf den Kiesweg zurückzubringen.
Sie fuhren durch eine Gruppe von Säulenkakteen. Die riesigen Kaktusbäume, die dicht beieinanderstanden, ragten über ihnen auf.
Emma betrachtete die schlanken, graugrünen Glieder, die an den Rändern mit scharfen Stacheln bestückt waren. Auf gewisse Art waren sie wunderschön – aber es war eine harte, abweisende Schönheit, die der sonnenverbrannten Landschaft entsprach. Sie blickte auf den schmalen Weg, den sie entlangfuhren. Nach und nach rückten die Kaktusbäume weiter auseinander, und schließlich waren sie wieder im offenen Land.
Mosi zeigte plötzlich auf ein großes Schild links neben dem Weg. Die Büsche waren so hoch gewachsen, dass sie die Schrift teilweise verdeckten, und die Farbe war fast vollständig abgeblättert. Aber Emma konnte die Wörter trotzdem noch erkennen. Olambo-Fieber-Forschungsprojekt.
Sie starrte auf das Schild, bis sie vorbeigefahren waren. Dann steckte sie sich die Bluse in die Hose, zog ihr Haarband aus den staubigen Haaren, strich sie glatt und band sie erneut zu einem Pferdeschwanz zusammen. Sie nahm ihren Lippenbalsam aus der Tasche und fuhr damit über die Lippen.
Der Weg führte sie um einen kleinen Hügel herum. Emma blickte sich neugierig um. Erregung,
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