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Das Herz ihrer Tochter

Das Herz ihrer Tochter

Titel: Das Herz ihrer Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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verlieren
hatte. Aber als Shay mir in die Augen sah, wusste ich, dass er mir die Wahrheit
sagte - und dass die Hinrichtung eines Unschuldigen noch unerträglicher war
als die Hinrichtung eines Schuldigen, wenn das überhaupt möglich war. »Na,
dann lassen Sie uns keine Zeit verlieren«, sagte ich, und mir schwirrte schon
der Kopf vor lauter Möglichkeiten. »Sie haben Father Michael erzählt, Ihr
damaliger Anwalt wollte nicht auf Sie hören - aber ich höre auf Sie. Reden Sie mit
mir, Shay. Erzählen Sie mir irgend etwas, womit ich einen Richter überzeugen
kann, dass Sie zu Unrecht verurteilt wurden. Dann beantrage ich einen DNA-Test,
Sie brauchen nur zu unterschrei-«
    »Nein.«
    »Ich kann das nicht allein!«, explodierte
ich. »Shay, es geht hier darum, Ihre Verurteilung aufzuheben, verstehen Sie
das? Wenn uns das gelingt, sind Sie wieder ein freier Mann.«
    »Ich weiß, Maggie.«
    »Und anstatt es zu versuchen, wollen Sie
lieber für eine Tat sterben, die Sie nicht begangen haben? Ist das Ihr Ernst?«
    Er blickte mich an und nickte langsam.
»Ich hab Ihnen das schon bei unserem ersten Gespräch gesagt: Sie sollen nicht
mich retten, Sie sollen mein Herz retten.«
    Ich war wie vor den Kopf geschlagen.
»Wieso?«
    Er suchte nach Worten. »Weil es trotzdem
meine Schuld war. Ich hab versucht, sie zu retten, und ich konnte es nicht. Ich
war nicht rechtzeitig da. Ich konnte Kurt Nealon von Anfang an nicht leiden -
ich bin ihm bei der Arbeit möglichst aus dem Weg gegangen, wenn er zu Hause
war, weil er mich immer beobachtet hat. Aber June war richtig nett. Sie hat
nach Äpfeln gerochen, und mittags hat sie für mich Thunfischsalat gemacht, und
ich durfte zusammen mit ihr und dem Mädchen in der Küche essen, als würde ich
dazugehören. Nachdem Elizabeth ... hinterher ... war es schon schlimm genug für
June, dass sie beide verloren hatte. Ich wollte nicht, dass sie auch noch die
Vergangenheit verliert. Familie ist schließlich keine Sache, sie ist ein Ort«,
sagte Shay sanft. »Ein Ort, an dem alle Erinnerungen aufbewahrt werden.«
    Also nahm er die Schuld für Kurt Nealons
Verbrechen auf sich, damit die trauernde Witwe sich mit Stolz an ihn erinnern
konnte statt mit Hass. Wie viel schlimmer wäre es für June gewesen, wenn es
damals schon DNA-Tests gegeben hätte - wenn die vermeintliche Vergewaltigung
von Elizabeth Kurt als den Täter entlarvt hätte?
    »Wenn Sie jetzt nach Beweisen suchen,
Maggie, reißen Sie Junes Wunden wieder ganz weit auf. Wenn nicht - na, dann ist
das jetzt das Ende, und es ist vorbei.«
    Ich spürte, wie mir etwas die Kehle
zuschnürte, eine Faust aus Tränen. »Und wenn June irgendwann die Wahrheit
herausfindet? Und ihr klar wird, dass Sie hingerichtet wurden, obwohl Sie unschuldig
waren?«
    »Dann«, sagte Shay mit einem Lächeln, das
sein Gesicht erhellte wie Tageslicht, »wird sie sich an mich erinnern.«
    Ich hatte von Anfang an gewusst, dass
Shay und ich Unterschiedliches erreichen wollten. Ich hatte gedacht, ihn davon
überzeugen zu können, dass ein aufgehobenes Urteil ein Grund zum Feiern wäre,
selbst sein Weiterleben bedeutete, dass die Organspende noch eine Weile warten
musste. Aber Shay war bereit zu sterben; Shay wollte sterben. Er wollte
nicht bloß Ciaire Nealon eine Zukunft geben, sondern auch ihrer Mutter. Er
wollte nicht die Welt retten wie ich. Nur ein einziges Leben - weshalb er auch
eine echte Chance auf Erfolg hatte.
    Er berührte meine Hand, die ich an das
Gitter gelegt hatte. »Es ist gut so, Maggie. Ich habe nie etwas Bedeutendes
gemacht. Ich habe kein Mittel gegen Krebs entdeckt oder die globale Erwärmung
aufgehalten oder einen Nobelpreis gewonnen. Ich habe nichts aus meinem Leben
gemacht, ich habe bloß Menschen wehgetan, die ich geliebt habe. Aber sterben -
sterben wird anders sein.«
    »Inwiefern?«
    »Sie werden sehen,
dass ihr Leben lebenswert ist.« 382
    Ich wusste, dass Shay Bourne mir noch
sehr lange durch den Kopf spuken würde, ob seine Strafe vollstreckt werden
würde oder nicht. »Jemand, der so denkt«, sagte ich, »hat es nicht verdient,
hingerichtet zu werden. Bitte, Shay. Helfen Sie mir, Ihnen zu helfen. Sie
müssen nicht den Helden spielen.«
    »Maggie«, sagte er. »Sie auch nicht.«
     
    JUNE
     
    Notfall, hatte die Krankenschwester gesagt.
    Eine Schar Arzte und Schwestern strömte
in Claires Zimmer. Einer begann mit Herzmassage.
    Ich fühle keinen Puls.
    Wir müssen intubieren.
    Herzmassage fortsetzen.
    Zugang legen ...
    Wie ist ihr

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