Das Herz ihrer Tochter
eine Nachricht zu. Ich warf einen
Blick darauf und holte tief Luft.
»Ms Bloom?«, fragte der Richter ungeduldig.
»Einhundertzwanzig Dollar«, sagte ich.
»Wissen Sie, was Sie mit einhundertzwanzig Dollar anstellen können? Sie können
sich ein schickes Paar Stuart-Weitzman-Schuhe zulegen, runtergesetzt. Sie
können zwei Karten für ein Ligaspiel der Boston Bruins kaufen. Sie können eine
hungernde Großfamilie in Afrika eine ganze Weile satt machen. Sie können sich
ein super Handy mit Vertrag anschaffen. Oder Sie können einem Menschen helfen,
die Erlösung zu erlangen - und ein todkrankes Kind retten.«
Ich stand auf. »Shay Bourne bittet nicht
um seine Freiheit. Er bittet nicht darum, seine Strafe umwandeln zu lassen. Er
bittet lediglich darum, entsprechend seinen religiösen Überzeugungen sterben zu
dürfen. Und wenn Amerika für nichts anderes steht, so steht es auf jeden Fall
für das Recht auf freie Religionsausübung, selbst wenn man in Gewahrsam des
Staates stirbt.«
Ich schritt langsam auf die
Zuschauerbänke zu. »Noch immer kommen Menschen in dieses Land, weil es
Religionsfreiheit garantiert. Sie wissen, dass ihnen in Amerika niemand sagt,
wie Gott auszusehen oder zu klingen hat. Niemand sagt ihnen, dass es nur einen
einzigen richtigen Glauben gibt und der ihre es nicht ist. Sie wollen
ungehindert über Religion sprechen und Fragen stellen. Diese Rechte waren vor vierhundert
Jahren die Grundlage Amerikas, und das sind sie heute noch. Sie sind der
Grund, warum in diesem Land Madonna bei einem Konzert auf der Bühne am Kreuz
hängen kann und der Roman Das
Sakrileg ein Bestseller wurde. Sie
sind der Grund, warum die Religionsfreiheit in Amerika auch nach dem n.
September uneingeschränkt Bestand hat.«
Dann drehte ich mich wieder zu dem
Richter um und zog alle Register. »Euer Ehren, wir bitten Sie nicht, durch eine
Entscheidung für Shay Bourne die Trennung zwischen Kirche und Staat
aufzuheben. Wir möchten lediglich, dass das Gesetz geachtet wird - das Gesetz,
das Shay Bourne das Recht garantiert, selbst innerhalb der Mauern einer
Strafanstalt seine Religion auszuüben, solange kein zwingendes
Gemeinwohlinteresse dagegensteht. Das einzige Gemeinwohlinteresse, das der
Staat New Hampshire anführen kann, sind einhundertzwanzig Dollar - und
höchstens zwei Monate Aufschub.« Ich ging zurück zu meinem Platz und setzte
mich. »Wie wägt man das Leben eines Menschen und seine Seele gegen zwei Monate
und einhundertzwanzig Dollar ab?«
Sobald der Richter sich zur
Entscheidungsfindung zurückgezogen hatte, kamen zwei Marshals, um Shay wieder
abzuführen. »Maggie?«, sagte er, als er aufstand. »Danke.«
»Verzeihung«, sagte ich zu den Marshals,
»kann ich noch kurz mit ihm in der Gerichtszelle sprechen?«
»Aber wirklich nur kurz«, sagte einer von
ihnen, und ich nickte.
»Was meinen Sie«, fragte Father Michael,
der direkt hinter mir in der ersten Zuschauerbank saß. »Hat er eine Chance?«
Ich griff in meine Tasche, holte den
Zettel heraus, den der Gerichtsdiener mir direkt vor meinem Schlussplädoyer
zugesteckt hatte, und gab ihn Michael. »Hoffen wir's«, sagte ich. »Der
Gouverneur hat den Vollstreckungsaufschub abgelehnt.«
Er lag auf der
Metallpritsche, einen Arm über die Augen gelegt, als ich zur Gerichtszelle kam.
»Shay«, sagte ich und trat dicht an die Gitterstäbe. »Father Michael hat mir
erzählt, was damals im Haus der Nealons passiert ist.“
»Es spielt keine
Rolle.«
»Und ob es eine Rolle spielt«, sagte ich
mit Nachdruck. »Der Gouverneur hat den Vollstreckungsaufschub abgelehnt, das
heißt, es wird verdammt eng. Mit DNA-Beweisen lassen sich heute
Todesstrafenurteile aufheben. Damals, in dem Prozess gegen Sie, war sexueller Mißbrauch
einer der Anklagepunkte, wurde dann aber wieder fallen gelassen, nicht wahr?
Wenn die Spermaprobe noch vorhanden ist, können wir sie testen lassen und mit
der DNA von Kurt Nealon abgleichen. Sie müssen mir aber genau erzählen, was
passiert ist, damit ich die Sache anleiern kann.«
Shay stand auf, kam auf mich zu und legte
die Hände an die Gitterstäbe zwischen uns. »Ich kann nicht.«
»Wieso nicht?«, fragte ich. »Haben Sie
gelogen, als Sie Father Michael erzählt haben, dass Sie unschuldig sind?«
Er sah mich mit glühenden Augen an.
»Nein.«
Ich kann nicht erklären, warum ich ihm
glaubte. Vielleicht war ich naiv, weil ich nie Strafverteidigerin gewesen war;
vielleicht dachte ich bloß, dass ein dem Tode Geweihter wenig zu
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