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Das Herz ihrer Tochter

Das Herz ihrer Tochter

Titel: Das Herz ihrer Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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gemachten Tattoos. Ich hatte fünf - ich sagte mir
nämlich, dass mein Körper, bis vor drei Wochen jedenfalls, höchstens noch als
Leinwand für meine Kunst etwas taugte, zumal sich die Gefahr, mir mit einer
schmutzigen Nadel Aids einzufangen, in meinem Fall ja wohl erledigt hatte. Am
linken Fußknöchel hatte ich eine Uhr, deren Zeiger den Zeitpunkt von Adams Tod
markierten. Auf dem linken Oberarm hatte ich einen Engel und darunter ein
afrikanisches Stammesmotiv. Mein rechtes Bein zierte ein Stier, mein Sternzeichen,
und daneben schwamm ein Fisch, weil Adams Sternzeichen Fische gewesen war. Für
das sechste Tattoo hatte ich mir etwas ganz Besonderes ausgedacht: Das Wort GLAUBEN, in gotischer Schrift,
sollte rechts auf meiner Brust prangen. Ich hatte mit Bleistift und
Kugelschreiber die Buchstaben von hinten nach vorn und auf den Kopf gedreht so
lange geübt, dass ich mir sicher war, es auch mit meiner Tattoopistole vor dem
Spiegel hinzukriegen.
    Meine erste Pistole hatten die Aufseher
konfisziert, wie das Spritzbesteck von Crash. Sechs Monate hatte es gedauert,
bis ich die Teile für die neue zusammenhatte. Die Herstellung der Tinte war
mühselig, aber noch mühseliger war es, das unauffällig zu machen - weshalb ich
mich nur tief in der Nacht damit befaßte. Ich hatte einen Plastiklöffel
angezündet und die Flamme so klein wie möglich gehalten, damit ich den Rauch in
einer Plastiktüte auffangen konnte. Es stank entsetzlich, und ich hatte gerade
beschlossen, lieber aufzuhören, ehe die Aufseher im wahrsten Sinne des Wortes etwas
witterten, als Shay Bourne nebenan zusammenbrach.
    Diesmal war sein Anfall anders gewesen.
Er hatte geschrieen - so laut, dass der ganze Trakt wach wurde. Offen
gestanden, Shay sah aus wie ein Häufchen Elend, als er auf einer Rolltrage weggekarrt
wurde, und keiner von uns rechnete damit, ihn noch mal wiederzusehen - weshalb
ich meinen Augen zuerst nicht trauen wollte, als er am nächsten Tag zurück in
seine Zelle gebracht wurde.
    »Po-li-zei«, brüllte Joey Kunz, gerade
rechtzeitig für mich, um meine Tattooutensilien unter der Matratze verschwinden
zu lassen. Die Aufseher schlossen Shay in seiner Zelle ein, und sobald die Tür
von Block I hinter ihnen zugefallen war, fragte ich Shay, wie es ihm gehe.
    »Der Kopf tut mir weh«, sagte er. »Ich
muss schlafen.«
    Da Crash wegen der Sache mit seinem
Spritzbesteck noch immer in Isolationshaft saß, war alles relativ ruhig.
Calloway schlief tagsüber meistens und blieb die ganze Nacht wach mit seinem
Vögelchen; Texas und Pogie spielten virtuelles Pokern; Joey guckte seine
Seifenopern. Ich wartete sicherheitshalber noch fünf Minuten ab, bis die
Aufseher im Kontrollraum wieder anderweitig beschäftigt waren, und griff dann
unter meine Matratze.
    Ich hatte eine Gitarrensaite aufgedröselt
und aus dem Metallkern in der Mitte eine Nadel gemacht. Die steckte ich in
einen Kuli, aus dem ich die Mine entfernt hatte - und von dessen Spitze ich ein
kleines Stück abgesägt und am anderen Ende der Nadel befestigt hatte, was ich
dann mit der Motorwelle eines Kassettenrekorders verband. Den Kuli klebte ich
mit Klebeband an eine L-förmig gebogene Zahnbürste, wodurch der Apparat
leichter zu halten war. Die Nadellänge ließ sich durch das Verschieben des
Kuligehäuses regulieren. Dann brauchte ich bloß noch den Netzadapter des
Kassettenrekorders einzustöpseln, und ich hatte wieder eine funktionstüchtige
Tattoopistole.
    Die Rußausbeute von der Nacht zuvor hatte
ich bereits mit ein paar Tropfen Shampoo verdünnt. Jetzt stellte ich mich vor
die Edelstahlplatte, die als Spiegel diente, und inspizierte meine Brust. Dann
biß ich die Zähne zusammen und schaltete die Pistole ein. Die Nadel bewegte
sich ellipsenförmig vor und zurück, stach Hunderte von Malen pro Minute in
meine Haut.
    Dann war er da, der Buchstabe G.
    »Lucius?« Shays Stimme schwebte in meine Zelle.
    »Ich hab zu tun, Shay.«
    »Was ist das für ein Geräusch?«
    »Geht dich nichts an.« Ich setzte die
Nadel wieder auf, spürte die Stiche, als träfen mich tausend Pfeile.
    »Lucius? Ich hör das Geräusch noch
immer.«
    Ich seufzte. »Das ist eine Tattoopistole,
Shay, alles klar? Ich mache mir ein Tattoo.«
    Kurzes Zögern. »Machst du mir auch eins?«
    Ich hatte schon etlichen Häftlingen ein
Tattoo gemacht, als ich noch in Blocks untergebracht war, die etwas mehr
Freiheit boten als Block I. »Geht nicht. Ich komm nicht an dich ran.«
    »Kein Problem«, sagte Shay. »Ich komm an
dich

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