Das Herz ist ein einsamer Jäger (German Edition)
suchen? Wir halten am besten den Mund und warten ab.«
Ihre laute Stimme drang nur dumpf an sein Ohr. Sie nahmen ein Taxi. Zu Hause vergrub er sein Gesicht in das frische weiße Kopfkissen.
11
Mick fand in dieser Nacht keine Ruhe. Sie musste im Wohnzimmer schlafen, weil Etta krank war, und das Sofa war ihr zu schmal und zu kurz. Sie hatte Alpträume, in denen Willie vorkam. Es war schon fast einen Monat her, dass Portia ihr erzählt hatte, was man ihm angetan hatte – aber sie konnte nicht aufhören, daran zu denken. In dieser Nacht hatte sie zweimal einen schlimmen Traum, und als sie aufwachte, lag sie auf dem Fußboden, mit einer Beule an der Stirn. Um sechs Uhr hörte sie, wie Bill in die Küche ging und sein Frühstück zubereitete. Draußen war es taghell, aber im Zimmer waren die Jalousien heruntergelassen, und sie lag im Halbdunkel. Ein komisches Gefühl, im Wohnzimmer aufzuwachen. Sie mochte es nicht. Sie hatte sich im Betttuch verheddert, das zur Hälfte auf den Fußboden herabhing; das Kopfkissen lag mitten im Zimmer. Sie stand auf und öffnete die Tür zur Diele. Auf der Treppe war niemand zu sehen. Sie lief im Nachthemd ins Hinterzimmer.
»Rück ein bisschen zur Seite, George.«
Der Kleine lag in der Mitte des Bettes – splitterfasernackt, denn die Nacht war heiß gewesen. Er hatte die Fäuste geballt und kniff auch im Schlaf die Augen zusammen, als grübelte er über ein schweres Problem nach. Sein Mund stand offen, und auf dem Kopfkissen war ein kleiner nasser Fleck. Sie stupste ihn an.
»Warte mal…«, murmelte er im Halbschlaf.
»Rück ein Stückchen.«
»Warte… ich will das bloß zu Ende träumen… bloß das noch…«
Sie schob ihn zur Seite und legte sich dicht neben ihn. Als sie die Augen wieder aufschlug, war es schon spät: Die Sonne schien bereits durchs Hinterfenster. George war nicht mehr da. Vom Hof hörte sie Kinderstimmen und Wassergeplätscher. Etta und Hazel unterhielten sich im Nebenzimmer. Während sie sich anzog, kam ihr plötzlich ein Gedanke. Sie lauschte an der Tür, aber sie konnte kaum etwas verstehen. Um die beiden zu überrumpeln, riss sie mit einem Ruck die Tür auf.
Sie lasen in einem Filmmagazin. Etta lag noch im Bett. Sie hatte das Bild eines Schauspielers zur Hälfte mit der Hand bedeckt. »Findest du nicht auch, dass er so an den Jungen erinnert, der immer mit…«
»Wie geht’s dir denn heute, Etta?«, fragte Mick. Mit einem Blick unter das Bett überzeugte sie sich davon, das ihre Schachtel unberührt an ihrem Platz stand.
»Geht dich nichts an«, sagte Etta.
»Musst du denn gleich Streit anfangen?«
Ettas Gesicht war spitz geworden. Sie hatte schreckliche Bauchschmerzen, weil ihre Eierstöcke entzündet waren. Irgendwie hatte das mit dem Unwohlsein zu tun. Der Arzt sagte, ihre Eierstöcke müssten rausgeschnitten werden. Aber ihr Papa meinte, sie müssten damit warten. Sie hatten kein Geld dafür.
»Was willst du nun eigentlich von mir?«, fragte Mick. »Ich stell dir bloß eine höfliche Frage – und gleich meckerst du an mir rum. Mir tut’s leid, dass du krank bist. Aber du willst wohl nicht, dass ich nett bin. Und da soll einer nicht wütend werden.« Sie strich die Haare zurück und schaute in den Spiegel. »Junge! Junge! Da hab ich mir aber ’ne Beule geholt! Bestimmt hab ich mir den Schädel gebrochen. Zweimal bin ich heut Nacht runtergefallen, wahrscheinlich habe ich mich am Sofatisch angeschlagen. Ich kann nicht im Wohnzimmer schlafen. Das Sofa macht mich ganz krumm – ich schlaf da nie wieder.«
»Schrei doch nicht so«, sagte Hazel.
Mick kniete sich hin und holte die große Schachtel hervor. Sie unterzog die Schnüre einer kritischen Musterung. »Sagt mal, hat eine von euch da dran rumgefummelt?«
»Ach du liebes bisschen«, sagte Etta. »Als ob wir mit deinem Krempel was anfangen könnten!«
»Wollt ich euch auch nicht geraten haben. Wer in meinen Sachen rumschnüffelt, den bring ich um.«
»Hör mal zu, Mick Kelly«, sagte Hazel. »Du bist wohl der selbstsüchtigste Mensch, den ich kenne. Du scherst dich keinen Deut um andre Leute, bloß…«
»Ach Quatsch!« Sie knallte die Tür zu. Sie hasste die beiden. Furchtbar, so etwas zu denken – aber es war so.
Ihr Papa war in der Küche bei Portia. Im Bademantel umkreiste er den Küchentisch und trank eine Tasse Kaffee. Das Weiße seiner Augen war gerötet, und die Tasse in seinen Händen klapperte auf der Untertasse.
»Wie spät? Ist Mister Singer schon weg?«
»Schon weg,
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