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Das Herz ist ein einsamer Jäger (German Edition)

Das Herz ist ein einsamer Jäger (German Edition)

Titel: Das Herz ist ein einsamer Jäger (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carson McCullers
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eine dringende Angelegenheit.«
    »Sie können ja nicht grade stehn. Wohl Schnaps getrunken, was? Man riecht’s ja.«
    »Das ist eine Lüge«, sagte Doktor Copeland. »Ich habe keinen…«
    Der Sheriff schlug ihm ins Gesicht. Doktor Copeland taumelte gegen die Wand. Zwei Weiße packten ihn an den Armen und zerrten ihn die Stufen zum Hauptkorridor hinunter. Er wehrte sich nicht.
    »Das ist das Schlimme in unserm Land«, sagte der Sheriff. »Diese verdammten aufgeblasenen Nigger wie der hier.«
    Er sagte kein Wort, er ließ alles mit sich geschehen. Er wartete auf die schreckliche Wut und fühlte sie in sich aufsteigen. Ihm wurde ganz schwach vor Raserei. Er stolperte. Sie stießen ihn ins Auto und gaben ihm zwei Mann als Bewachung mit. Er wurde zur Polizeiwache und dann ins Gefängnis gebracht. Erst als sie die Türschwelle zum Gefängnis überschritten, gab seine Wut ihm endlich Kraft. Er riss sich los. Sie trieben ihn in eine Ecke. Mit ihren Knüppeln schlugen sie ihn auf Kopf und Schultern. Eine herrliche Kraft durchströmte ihn, und während er mit ihnen kämpfte, hörte er sich laut lachen. Er schluchzte und lachte zugleich. Er trat wild um sich, boxte mit den Fäusten und stieß sogar mit dem Kopf nach ihnen. Dann hatten sie ihn so fest umklammert, dass er sich nicht mehr rühren konnte. Meter um Meter schleiften sie ihn durch den Gefängnisflur. Eine Zellentür tat sich auf. Jemand trat ihn in den Unterleib; er sackte in sich zusammen und fiel zu Boden.
    In der engen Zelle waren noch fünf Häftlinge: drei Neger und zwei Weiße. Der eine Weiße war sehr alt und betrunken; er hockte am Boden und kratzte sich. Der andere Weiße war höchstens fünfzehn Jahre alt. Die drei Neger waren junge Leute. Als Doktor Copeland von seiner Pritsche zu ihnen aufsah, erkannte er einen von ihnen.
    »Wie kommen Sie hierher?«, fragte der junge Mann. »Sie sind doch Doktor Copeland?«
    Er bestätigte es.
    »Ich heiße Dary White. Voriges Jahr haben Sie meiner Schwester die Mandeln rausgenommen.«
    In der eiskalten Zelle roch es scheußlich. In der Ecke stand ein Kübel, der bis zum Rand mit Urin gefüllt war. An den Wänden krochen Kakerlaken entlang. Er schloss die Augen und musste sofort eingeschlafen sein, denn als er wieder aufsah, war das vergitterte kleine Fenster dunkel, und draußen im Flur brannte grelles Licht. Vier leere Blechteller standen am Boden. Seine Portion Kohl und Maisbrot stand neben ihm.
    Er setzte sich auf die Pritsche und nieste mehrmals kräftig. Beim Atmen rasselte es in seiner Brust. Nach einer Weile musste der junge Weiße ebenfalls niesen. Doktor Copeland hatte keine Papiertaschentücher mehr und benutzte die Seiten aus seinem Notizbuch. Der weiße Junge beugte sich in der Ecke über den Kübel und ließ den Schleim aus seiner Nase einfach auf sein Hemd fließen. Seine Augen waren krankhaft weit geöffnet, seine rosigen Wangen glühten. Er kauerte sich auf den Rand seiner Pritsche und stöhnte.
    Bald darauf wurden sie zum Abort geführt, danach legten sie sich schlafen. Sie mussten zu sechst mit vier Pritschen auskommen. Der alte Mann lag schnarchend auf dem Fußboden. Dary und ein anderer junger Neger hatten sich zusammen auf eine Pritsche gequetscht.
    Die Stunden wurden ihm lang. Das Licht aus dem Gang tat seinen Augen weh, und der Gestank in der Zelle machte jeden Atemzug zur Qual. Es wollte ihm nicht warm werden. Er klapperte vor Schüttelfrost mit den Zähnen. Er setzte sich auf und wiegte sich, in die schmutzige Decke gewickelt, hin und her. Zweimal langte er zu dem weißen Jungen hinüber, der murmelnd im Schlaf um sich schlug, und deckte ihn zu. Den Kopf in den Händen, wiegte er sich hin und her, und seiner Kehle entstieg ein klagender Singsang. Er konnte nicht an William denken, nicht einmal an das eine große, wahre Ziel konnte er denken, um daraus Kraft zu schöpfen. Da war nur das Gefühl des Elends in seinem Inneren. Dann schlug das Fieber um: Wohlige Wärme durchströmte ihn. Er legte sich zurück, und ihm war, als sänke er hinab in eine Tiefe – warm, rot und tröstlich.
    Am nächsten Morgen war der merkwürdige Winter zu Ende. Doktor Copeland wurde freigelassen. Vor dem Gefängnis erwartete ihn eine kleine Schar: Mr.   Singer, Portia, Highboy und Marshall Nicolls. Ihre Gesichter waren verschwommen, er konnte sie nicht klar sehen. Die Sonne schien sehr hell.
    »Vater, so hilfst du unserm Willie wirklich nicht, weißt du das denn nicht? Was hast du im Gericht für die Weißen zu

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