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Das Herz ist ein einsamer Jäger (German Edition)

Das Herz ist ein einsamer Jäger (German Edition)

Titel: Das Herz ist ein einsamer Jäger (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carson McCullers
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Kopf – Portias Bruder hatte es oft auf der Mundharmonika gespielt. Sie trat im Takt dazu die Pedale. Schließlich kamen sie an die Stelle, die sie gesucht hatten. »Hier ist es! Siehst du die Tafel? Privatbesitz. Wir müssen über den Drahtzaun klettern und dann da langgehen – siehst du?«
    Im Wald war es ganz still. Tannennadeln bedeckten den Boden. Nach wenigen Minuten erreichten sie den Fluss. Das braune Wasser floss kühl und rasch dahin. Kein Laut war zu hören, nur das Rauschen des Wassers und das Singen des Windes hoch oben in den Wipfeln der Kiefern. Wie eingeschüchtert von der tiefen Waldesstille gingen sie leise am Ufer entlang. »Ist das nicht hübsch hier?«
    Harry lachte. »Warum flüsterst du? Horch mal!« Er schlug sich mit der Hand auf den Mund und stieß einen langen Indianerschrei aus, den das Echo zurückwarf. »Komm. Wir wollen ins Wasser springen und uns abkühlen.«
    »Hast du keinen Hunger?«
    »Doch. Essen wir erst was. Jetzt die Hälfte, die andre nachher, wenn wir aus dem Wasser kommen.«
    Sie packten die Marmeladenbrötchen aus, und als sie mit Essen fertig waren, knüllte Harry das Papier zusammen und stopfte es sorgfältig in einen hohlen Baumstumpf. Dann nahm er seine Badehose und ging den Pfad hinunter. Sie zog sich hinter einem Busch aus und zwängte sich in Hazels Badeanzug. Der Anzug war ihr zu klein und kniff zwischen den Beinen.
    »Fertig?«, rief Harry.
    Sie hörte einen Platsch, und als sie ans Ufer kam, war Harry schon ein Stückchen geschwommen. »Mach keinen Kopfsprung!«, rief er. »Muss erst sehn, ob hier Baumstümpfe sind oder seichte Stellen.« Sie sah seinen Kopf untertauchen. Sie hatte gar keinen Kopfsprung machen wollen. Sie konnte ja nicht einmal schwimmen. Sie war bisher nur sehr selten Baden gegangen – und wenn, hatte sie immer Schwimmflügel angehabt, oder sie war im Flachen geblieben, wo sie noch stehen konnte. Harry würde das sicher albern finden. Sie wusste nicht recht, was sie tun sollte, bis ihr eine Geschichte dazu einfiel.
    »Ich kann nicht mehr tauchen. Früher – da bin ich immer gesprungen, von ganz hoch oben. Dabei hab ich mir mal den Kopf aufgeschlagen. Und seitdem springe ich nicht mehr rein.« Nach kurzem Nachdenken fuhr sie fort: »Ich hab einen doppelten Salto gemacht, und als ich wieder hochkam, war das ganze Wasser rot von Blut. Ich dachte mir nichts dabei und machte lauter Kunststücke im Wasser, bis die andern mir was zuschrien. Da habe ich gemerkt, woher das viele Blut im Wasser kam. Seitdem kann ich nicht mehr so gut schwimmen.«
    Harry krabbelte aus dem Wasser. »Mein Gott, das hab ich ja gar nicht gewusst.«
    Sie wollte weiterlügen, damit es noch wahrscheinlicher klänge; stattdessen verstummte sie und sah Harry an. Seine leichtgebräunte Haut glänzte nass, an der Brust und den Beinen war er behaart. In der enganliegenden Badehose war er so gut wie nackt, und ohne Brille wirkte sein Gesicht mit den feuchten blauen Augen offener und noch hübscher. Er sah sie an, und plötzlich war sie irgendwie befangen. »Das Wasser ist ungefähr drei Meter tief, bloß drüben am andern Ufer ist’s flach.«
    »Komm, gehn wir zusammen rein. Fühlt sich bestimmt gut an im kalten Wasser.«
    Sie hatte keine Angst. Sie empfand die gleiche Seelenruhe, als wenn sie sich im Wipfel eines sehr hohen Baumes verstiegen hätte und nichts weiter tun konnte, als möglichst vorsichtig hinuntersteigen. Sie ließ sich am Ufer hinab und stand in dem eiskalten Wasser. Sie hielt sich an einer Wurzel fest, bis diese unter ihren Händen nachgab; dann begann sie zu schwimmen. Einmal schluckte sie Wasser und ging unter; aber sie schwamm weiter und ließ sich nichts anmerken. Sie schwamm bis ans andere Ufer, und als sie dort wieder Boden unter den Füßen hatte, fühlte sie sich großartig. Sie schlug mit den Fäusten aufs Wasser, schrie verrückte Sachen herum und lachte über ihr Echo.
    »Sieh mal!«
    Harry zog sich an einem hohen, dünnen Bäumchen hoch. Als er oben war, neigte der biegsame Stamm sich über das Wasser, und Harry plumpste hinein.
    »Lass mich auch mal! Pass auf, ich kann das auch!«
    »Ist ein ganz junges Bäumchen.«
    Sie konnte so gut klettern wie jeder andere. Sie machte es Harry nach und landete ebenfalls mit einem lauten Platsch im Wasser. Und nun konnte sie auch schwimmen. Sie konnte richtig schwimmen.
    Sie jagten sich uferauf, uferab und durch das kalte braune Wasser. Zwei Stunden vergingen mit Springen, Klettern und viel Geschrei. Dann standen

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