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Das Herz ist ein einsamer Jäger (German Edition)

Das Herz ist ein einsamer Jäger (German Edition)

Titel: Das Herz ist ein einsamer Jäger (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carson McCullers
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Ecke bog. Wirklich: Ein hübscher Bursche war er geworden.
    Harry auf dem Land war ein anderer als der ewig zeitunglesende und über Hitler nachgrübelnde Harry. Sie waren früh aufgebrochen. Die Räder, die er geborgt hatte, waren Herrenräder, mit einer Stange zwischen den Beinen. Sie schnallten den Proviant und ihre Badeanzüge auf die Schutzbleche und waren schon vor neun unterwegs. Es war ein heißer, sonniger Morgen. Nach einer Stunde lag die Stadt weit hinter ihnen. Sie fuhren auf einem roten Lehmweg zwischen frischgrünen Feldern dahin, die Luft roch würzig nach Kiefern. Harry schwatzte aufgeregt. Der warme Wind wehte ihnen ins Gesicht. Mick bekam einen ganz trockenen Mund und wurde allmählich hungrig. »Siehst du das Haus da oben auf dem Hügel? Können wir da nicht haltmachen und uns Wasser holen?«
    »Nein, lass uns lieber warten. Von Brunnenwasser bekommt man Typhus.«
    »Typhus hab ich schon gehabt. Und Lungenentzündung und ein gebrochenes Bein und Blutvergiftung am Fuß.«
    »Ja, das weiß ich noch.«
    »Ja«, sagte Mick. »Wie wir Typhus hatten, lagen Bill und ich im Vorderzimmer, und Pete Wells rannte immer mit zugehaltener Nase vorbei und sah zu unserm Fenster rauf. Bill war das sehr peinlich. Mir ging das Haar so aus, dass ich ganz kahl wurde.«
    »Wir sind bestimmt mindestens sechzehn Kilometer von der Stadt weg. Anderthalb Stunden sind wir schon gefahren, und das ziemlich schnell.«
    »Ich hab solchen Durst«, sagte Mick. »Und Hunger hab ich auch. Was hast du denn zu essen dabei?«
    »Kalte Leberpastete und Brötchen mit Geflügelsalat und Kuchen.«
    »Ein feines Picknick!« Sie schämte sich für ihren mickrigen Proviant. »Ich hab zwei hartgekochte Eier – schon gepellt –, dazu zwei Tütchen mit Salz und Pfeffer. Außerdem Brötchen mit Butter und Brombeermarmelade. Alles in Butterbrotpapier. Und Papierservietten.«
    »Du solltest gar nichts mitbringen«, sagte Harry. »Meine Mutter hat für uns beide was eingepackt. Ich hab dich doch zu dem Ausflug eingeladen. Wir sind bald an einem Laden, da kriegen wir was Kaltes zu trinken.«
    Nach einer weiteren halben Stunde erreichten sie den Laden an der Tankstelle. Harry lehnte die Fahrräder an, und sie ging vor ihm hinein. Nach dem grellen Licht draußen kam es ihr hier richtig dunkel vor.
    Die Regale waren vollgestopft mit Fleisch, Öldosen und Mehltüten. Um ein großes, klebriges Bonbonglas summten die Fliegen.
    »Was haben Sie denn zu trinken?«, fragte Harry.
    Der Verkäufer begann aufzuzählen. Mick öffnete die Eistruhe und blickte hinein. Es tat gut, die Hände ins kalte Wasser zu tauchen. »Ich möcht Limonade. Haben Sie welche?«
    »Dito«, sagte Harry. »Also zweimal.«
    »Nein, wart mal. Hier ist eiskaltes Bier. Ich möchte eine Flasche Bier, wenn du so viel Geld dabei hast.«
    Harry bestellte sich auch ein Bier. Eigentlich hielt er es für eine Sünde, unter zwanzig Jahren Bier zu trinken – aber vielleicht wollte er grad kein Spielverderber sein. Beim ersten Schluck verzog er das Gesicht. Sie setzten sich auf die Stufen vor dem Laden. Mick hatte so müde Beine, dass ihre Wadenmuskeln zuckten. Sie wischte die Flasche mit der Hand ab und nahm einen langen Schluck. Jenseits der Straße erstreckte sich bis zum Rand des Kiefernwaldes eine große Wiese. Die Bäume zeigten alle Schattierungen, von leuchtendem Gelbgrün bis zu schwärzlichem Dunkelgrün. Der Himmel war strahlend blau.
    »Ich trinke gern Bier«, sagte sie. »Früher hab ich immer die Bierreste von Paps mit Brot aufgetunkt. Wenn man dazu Salz aus der Hand leckt – das schmeckt gut. Das zweite Mal in meinem Leben, dass ich eine ganze Flasche Bier allein trinke.«
    »Der erste Schluck war bitter. Aber dann schmeckt’s gut.«
    Der Verkäufer sagte, sie seien jetzt über neunzehn Kilometer von der Stadt entfernt. Also hatten sie noch etwas mehr als sechs Kilometer vor sich. Harry zahlte, und dann waren sie wieder draußen in der heißen Sonne. Harry redete laut und lachte immerfort ohne irgendeinen Grund.
    »Himmel«, sagte er, »das Bier und die Hitze machen mich ganz schwindlig. Aber sonst geht’s mir gut.«
    »Ich kann’s gar nicht erwarten, endlich ins Wasser zu springen.«
    Der Weg wurde sandig; sie mussten mit aller Kraft in die Pedale treten, um nicht stecken zu bleiben. Harrys Hemd klebte schweißnass an seinem Rücken. Er redete immer weiter. Dann hatten sie den sandigen Abschnitt hinter sich, und der Weg wurde lehmigrot. Ein langsames Lied ging ihr durch den

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