Das Herz ist ein einsamer Jäger (German Edition)
bestand nur aus einer eisernen Bettstelle, einem Schrank und zwei Stühlen. Im Bett lag der grässliche Neger, mit dem er einmal auf der Treppe zu Singers Zimmer zusammengestoßen war. Sein Gesicht wirkte auf den weißen, prallen Kissen pechschwarz. Seine dunklen Augen glühten vor Hass, aber der bläuliche, dicke Mund war beherrscht. Nur seine Nasenflügel blähten sich mit jedem Atemzug – sonst war sein Gesicht so starr wie eine schwarze Maske.
»Raus mit Ihnen«, sagte der Neger.
»Augenblick…«, sagte Jake hilflos. »Warum sagen Sie das?«
»Dies ist mein Haus.«
Jake konnte seinen Blick nicht von dem furchterregenden Gesicht des Negers losreißen.
»Aber… warum denn?«
»Sie sind ein Weißer und ein Fremder.«
Jake ging nicht. Träge und behutsam bewegte er sich auf einen der weißen Stühle zu. Er setzte sich. Der Neger fuhr unruhig mit den Händen auf der Bettdecke hin und her. Seine schwarzen Augen glänzten fiebrig. Jake sah ihn an. Beide warteten. Im Zimmer herrschte eine Spannung wie bei einer Verschwörung, eine Totenstille wie vor einer Explosion.
Mitternacht war längst vorüber. Die warme Luft des dunklen Frühlingsmorgens zog durch die blauen Rauchschwaden im Zimmer. Auf dem Fußboden lag zerknülltes Papier, neben dem Stuhl stand eine halbleere Ginflasche, und die Bettdecke war voller Zigarettenasche.
Doktor Copeland ließ den Kopf ins Kissen sinken. Er hatte seinen Morgenrock ausgezogen und die Ärmel seines weißen Baumwollnachthemds bis zu den Ellenbogen aufgekrempelt. Jake saß vornübergebeugt auf dem Stuhl. Sein Schlipsknoten hatte sich gelöst, sein Hemdkragen war schweißnass. In den vergangenen Stunden hatten sie ein langes, anstrengendes Gespräch geführt. Nun schwiegen sie.
»Also ist die Zeit reif…«, fing Jake wieder an.
Doktor Copeland unterbrach ihn. »Vielleicht ist es jetzt notwendig, dass wir…«, murmelte er heiser. Sie verstummten, sahen einander in die Augen und warteten. »Verzeihung«, sagte Doktor Copeland.
»Entschuldigen Sie«, sagte Jake. »Sprechen Sie weiter.«
»Nein, fahren Sie fort.«
»Na ja…«, sagte Jake. »Was ich eben anfing, will ich lieber nicht sagen. Stattdessen sollten wir ein letztes Wort über die Südstaaten sagen. Die unterdrückten Südstaaten. Die ruinierten Südstaaten. Die versklavten Südstaaten.«
»Und über die Neger.«
Jake nahm zur Stärkung einen langen, scharfen Schluck aus der Flasche, die neben ihm am Boden stand. Dann ging er bedächtig zum Schrank und nahm einen billigen, kleinen Globus zur Hand, der dort als Briefbeschwerer stand. Er ließ ihn langsam um die Achse kreisen. »Ich kann nur eins sagen: Auf der ganzen Welt nichts wie Niedertracht und Bosheit. Ha! Auf drei Vierteln des Erdballs herrscht Krieg oder Unterdrückung. Die Lügner und Bösewichter sind sich einig, aber die Wissenden stehen allein und sind wehrlos. Aber! Aber wenn Sie mich fragen: Welches ist das verkommenste Stück Erde? – dann zeig ich bloß hierher…«
»Geben Sie Acht«, sagte Doktor Copeland. »Sie sind mitten im Ozean.«
Jake drehte den Globus weiter und drückte seinen schmutzigen, dicken Daumen auf einen sorgfältig ausgewählten Fleck. »Hier. Diese dreizehn Staaten. Ich weiß Bescheid. Ich hab Bücher gelesen, ich bin viel rumgekommen. In jedem dieser gottverdammten dreizehn Staaten bin ich gewesen. In jedem einzelnen von ihnen hab ich gearbeitet. Und warum ich jetzt so denke? Wir leben im reichsten Land der Welt. Bei uns gibt’s alles in Hülle und Fülle – kein Mann, keine Frau, kein Kind müsste bei uns Not leiden. Außerdem herrscht in unserem Land ein großes, wahres Prinzip – sollte es wenigstens! –, nämlich Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit. Und was ist daraus geworden? Auf der einen Seite milliardenschwere Konzerne – auf der andern Seite Hunderttausende, die nichts zu essen haben. Hier, in diesen dreizehn Staaten geht die Ausbeutung der Menschen so weit, dass… also, das muss man mit eignen Augen gesehn haben. Dinge hab ich in meinem Leben gesehn, die einen wahnsinnig machen könnten. Mindestens ein Drittel aller Südstaatler lebt und stirbt nicht um einen Deut besser als der ärmste Bauer in einem europäischen Faschistenland. Der Durchschnittslohn eines Landarbeiters ist dreiundsiebzig Dollar pro Jahr. Wohlgemerkt: der Durchschnittslohn! Die Löhne der Saisonarbeiter bewegen sich zwischen fünfunddreißig und neunzig Dollar pro Nase. Fünfunddreißig Dollar im Jahr – das heißt, zehn Cent pro
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