Das Herz ist ein einsamer Jäger (German Edition)
Vater und Willie schon hin und her geredet. Dieser Buster…«
»Buster hat jetzt ein Holzbein«, sagte der junge Mann am Fenster. »Hab ihn heut auf der Straße gesehn.«
»Dieser Buster hat keine Familie, und Vater hat gedacht, er soll zu uns ziehn. Vater will, dass die Jungs zusammenhalten. Wie er sich das vorstellt, dass wir sie füttern sollen, weiß ich nicht.«
»Ich will das nicht. Außerdem waren wir nie gute Freunde.« Willie befühlte mit den dunklen, kräftigen Händen seine Beinstümpfe. »Wenn ich bloß wüsste, wo meine F-F-Füße sind. Das macht mir am meisten Sorge. Der Doktor hat sie mir nie wiedergegeben. Wenn ich doch bloß wüsste, wo die sind.«
Jake schaute sich ganz benommen vom Gin im Raum um. Alles war verschwommen und fremdartig. Die Hitze in der Küche machte ihn so schwindlig, dass es ihm in den Ohren klingelte. Der Qualm nahm ihm die Luft zum Atmen. Die Deckenlampe war mit Zeitungspapier abgedeckt, so dass der Raum nur durch den Feuerschein erhellt wurde, der durch die Herdritzen fiel. Die dunklen Gesichter ringsum waren in rötliche Glut getaucht. Jake fühlte sich unwohl und allein. Singer war zu Portias Vater gegangen. Wenn er doch wiederkäme, damit sie gehen könnten. Jake torkelte zur Herdbank hinüber und setzte sich zwischen Marshall Nicolls und John Roberts.
»Wo ist denn Portias Vater?«, fragte er.
»Doktor Copeland liegt im Vorderzimmer, Sir«, sagte Roberts.
»Ach – ist er Doktor?«
»Ja, Sir. Er ist Arzt.«
Draußen auf den Stufen hörte man Schritte, und die Hintertür ging auf. Frische, milde Luft drang in den verqualmten Raum. Als Erster trat ein hochgewachsener junger Mann in Leinenanzug und modisch verzierten Schuhen ein; er hielt einen Papierbeutel im Arm. Ihm folgte ein etwa siebzehnjähriger Junge.
»He, Highboy, hallo, Lancy«, sagte Willie. »Was bringt ihr mir alles mit?«
Highboy verbeugte sich höflich vor Jake und stellte zwei Krüge mit Wein auf den Tisch, neben die Lancy einen weißverdeckten Teller stellte.
»Der Wein ist ein Geschenk vom Verein«, sagte Highboy. »Und den Pfirsichkuchen schickt Lancys Mutter.«
»Wie geht’s dem Doktor, Miss Portia?«, fragte Lancy.
»Ach, die letzten Tage ging’s ihm sehr schlecht, Herzchen. Er ist so aufgeregt, das macht mir Sorge. Schlechtes Zeichen, wenn ein Kranker sich plötzlich so aufregt.« Zu Jake gewandt, fragte sie: »Ein schlechtes Zeichen, finden Sie nicht auch, Mr. Blount?«
Jake starrte sie benommen an. »Ich weiß nicht.«
Lancy warf Jake einen mürrischen Blick zu und zupfte an den Manschetten seiner zu kurzen Hemdsärmel. »Sagen Sie dem Doktor beste Empfehlungen von meiner Familie.«
»Wir sind Ihnen sehr dankbar«, sagte Portia. »Vater hat grad neulich von Ihnen gesprochen. Er hat ein Buch, das er Ihnen geben will. Warten Sie eine Minute, dann hol ich’s und spül den Teller ab, dass Sie ihn Ihrer Mutter wiederbringen können. Wirklich sehr freundlich von ihr.«
Marshall Nicolls beugte sich zu Jake und schien ihm etwas sagen zu wollen. Der alte Mann trug dunkle Nadelstreifenhosen, dazu einen Gehrock mit einer Blume im Knopfloch. Er räusperte sich und sagte dann: »Verzeihung, Sir, aber es war nicht zu vermeiden, dass wir teilweise Zeugen Ihres Gesprächs mit Willie wurden, über das Unglück, das ihn getroffen hat. Und selbstverständlich haben auch wir uns Gedanken darüber gemacht, was in der Sache zu unternehmen sei.«
»Sind Sie mit ihm verwandt oder der Geistliche seiner Kirche?«
»Nein, ich bin Apotheker. Und John Roberts links neben Ihnen ist Beamter bei der staatlichen Post.«
»Briefträger«, bestätigte John Roberts.
»Gestatten Sie gütigst…« Marshall Nicolls zog ein gelbseidenes Taschentuch heraus und schnaubte sich umständlich die Nase. »Natürlich haben wir die Angelegenheit erschöpfend diskutiert. Ich brauche nicht zu betonen, dass wir als Angehörige der farbigen Rasse hier im freien Amerika nichts sehnlicher wünschen, als zum Ausbau freundschaftlicher Beziehungen beizutragen.«
»Wir möchten immer das Rechte tun«, warf John Roberts ein.
»Es geziemt uns, behutsam vorzugehen und die bereits bestehenden freundschaftlichen Beziehungen nicht zu gefährden. Dann wird die Gesamtlage sich nach und nach bessern.«
Jake blickte von einem zum andern. »Ich glaube, ich kann Ihnen nicht ganz folgen.« Vor Hitze konnte er kaum atmen. Er wollte hinaus. Seine Augen waren wie verschleiert, und er nahm die Gesichter rundum nur noch verschwommen wahr.
In
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