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Das Herz ist ein einsamer Jäger (German Edition)

Das Herz ist ein einsamer Jäger (German Edition)

Titel: Das Herz ist ein einsamer Jäger (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carson McCullers
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die Macht der Rede geglaubt, nicht an die Macht der Faust. Ich lehrte, dass Geduld und der Glaube an die menschliche Seele die besten Waffen gegen Unterdrückung wären. Heute weiß ich, wie sehr ich im Unrecht war. Ich habe mich und mein Volk verraten. Unsinn ist das alles. Jetzt muss gehandelt werden, und zwar rasch. Hinterlist kann nur mit Hinterlist, Macht nur mit Macht bekämpft werden.«
    »Aber wie?«, fragte Jake. »Wie denn?«
    »Indem wir hinausgehen und etwas tun. Indem wir die Massen zusammenrufen und Demonstrationen veranstalten.«
    »Ha! Jetzt haben Sie sich verraten: ›Demonstrationen veranstalten.‹ Was ist damit schon gewonnen, wenn die gegen irgendwas demonstrieren und nichts wissen ? Sie fangen ja mit dem Arsch an statt mit dem Kopf.«
    »Solche ordinären Ausdrücke mag ich nicht«, sagte Doktor Copeland pikiert.
    »Herrgott noch mal! Ist mir doch scheißegal, ob Sie’s mögen oder nicht.«
    Doktor Copeland hob die Hand. »Nicht so hitzig. Wir wollen doch versuchen, uns zu einigen.«
    »Mir sehr recht. Liegt mir gar nichts dran, mich mit Ihnen zu zanken.«
    Sie schwiegen. Doktor Copelands Blick wanderte von einer Ecke der Zimmerdecke zur anderen. Mehrfach befeuchtete er seine Lippen, um etwas zu sagen, aber jedes Mal blieben ihm die Worte im Hals stecken. Schließlich sagte er: »Ich rate Ihnen eines: Versuchen Sie nicht, alleinzustehen.«
    »Aber…«
    »Kein Aber «, sagte Doktor Copeland belehrend. »Das Verhängnisvollste, was ein Mensch tun kann, ist, sich zu isolieren.«
    »Ich versteh schon, worauf Sie hinauswollen.«
    Doktor Copeland zog sein Nachthemd über die Schultern und hielt es am Hals fest zusammen. »Glauben Sie an den Kampf meines Volkes für die Menschenrechte?«
    Die innere Bewegung, die in der sanften Frage des Doktors lag, trieb Jake plötzlich Tränen in die Augen. In einer Anwandlung von Liebe griff er nach der mageren schwarzen Hand auf der Bettdecke. »Aber gewiss«, sagte er.
    »Glauben Sie, dass wir in höchster Not sind?«
    »Ja.«
    »Dass es für uns keine Gerechtigkeit gibt? Nur das bittere Messen mit zweierlei Maß?«
    Doktor Copeland musste husten und spuckte in ein Papiertaschentuch, das unter seinem Kopfkissen gelegen hatte. »Ich habe ein Programm. Einen ganz einfachen, klaren Plan. Ich verfolge nur dieses eine Ziel. Im August dieses Jahres werde ich über tausend Neger aus der Gegend zu einem Marsch aufrufen – zum Marsch nach Washington. Wir alle – in einem geschlossenen Block. Dort im Schrank liegt ein Stapel Briefe, die ich in dieser Woche geschrieben habe und persönlich überbringen werde.« Doktor Copeland fuhr nervös mit den Händen über die Bettkanten. »Erinnern Sie sich, was ich eben gesagt habe? Denken Sie immer daran – ich kann Ihnen nur einen Rat geben: Werden Sie nicht zum Einzelgänger.«
    »Hab’s verstanden«, sagte Jake.
    »Wenn Sie sich darauf einlassen, dann darf es für Sie nichts anderes mehr geben. Ihr ein und alles muss es sein. Ihre Arbeit heute und für immer. Sie müssen sich selber aufgeben, ohne Vorbehalt, ohne Hoffnung auf einen persönlichen Nutzen, ohne Ruhe, ja – ohne jede Hoffnung auf Ruhe.«
    »Für die Rechte der Neger in den Südstaaten.«
    »In den Südstaaten und im ganzen Land. Alles oder nichts. Entweder Ja oder Nein.«
    Doktor Copeland lehnte sich zurück. Nur in seinen Augen schien noch Leben zu sein. Sie brannten in seinem Gesicht wie glühende Kohlen. Das Fieber hatte seine Backenknochen grausig gerötet. Jake saß finster brütend da und presste die Fingerknöchel an seinen breiten, zitternden Mund. Das Blut schoss ihm ins Gesicht. Draußen schimmerte schon das erste blasse Morgenlicht. Furchtbar grell brannte die elektrische Birne an der Decke.
    Jake stand auf und blieb steif am Fußende des Bettes stehen. Tonlos sagte er: »Nein. Das ist nicht das Richtige, ganz und gar nicht. Das weiß ich todsicher. Erstens mal: Die kommen ja nie aus der Stadt raus. Die lösen den Zug einfach auf und sagen, so was ist ’ne Bedrohung der Volksgesundheit oder sonst was Fadenscheiniges. Die werden verhaftet, und bei der ganzen Sache kommt überhaupt nichts raus. Aber auch wenn ein Wunder geschieht, und Sie kommen bis Washington – trotzdem hat’s keinen Zweck. Verrückte Idee das Ganze.«
    In Doktor Copelands Kehle rasselte es. Seine Stimme war rauh. »Wenn Sie so rasch Hohn und Verachtung bei der Hand haben – was können Sie stattdessen bieten?«
    »Ich habe Sie nicht verhöhnt«, sagte Jake. »Ich hab mir nur

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