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Das Herz ist ein einsamer Jäger (German Edition)

Das Herz ist ein einsamer Jäger (German Edition)

Titel: Das Herz ist ein einsamer Jäger (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carson McCullers
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draußen auf der Veranda. Im Zwielicht sah alles wie verschwommen aus. Das Abendessen war bald fertig, die Tür stand offen, es roch nach Kohl. Die ganze Familie war da – bis auf Hazel, die noch nicht von der Arbeit zurück war, und bis auf Etta, die immer noch krank im Bett lag. Ihr Papa lehnte im Stuhl und hatte die Füße auf das Geländer gelegt. Bill hockte mit dem Kleinen auf den Stufen. Ihre Mama saß in der Hängematte und fächelte sich mit der Zeitung Luft zu. Auf der anderen Straßenseite lief ein neu zugezogenes Mädchen mit einem einzelnen Rollschuh hin und her. In den Nachbarhäusern flammten die Lichter auf. Weit weg hörte man eine Männerstimme rufen.
    Dann kam Hazel nach Hause. Ihre hohen Absätze klapperten die Stufen herauf; sie lehnte sich träge an das Geländer. Ihre weichen, dicklichen Hände, die nach dem Haarknoten am Hinterkopf griffen, schimmerten im Halbdunkel sehr weiß. »Wenn Etta doch arbeiten könnte«, sagte sie. »Ich hab heut rausgekriegt, dass da ’ne Stelle frei wird.«
    »Was denn für eine?«, fragte ihr Papa. »Was für mich oder bloß für Mädchen?«
    »Bloß für Mädchen. Eine Verkäuferin bei Woolworth heiratet nächste Woche.«
    »Ach, das Warenhaus…«, sagte Mick.
    »Interessierst du dich dafür?«
    Die Frage überraschte sie. Sie hatte nur an die Tüte mit den grünen Bonbons gedacht, die sie gestern dort gekauft hatte. Ihr wurde schrecklich heiß, und sie verkrampfte sich. Sie strich sich die Haare aus der Stirn und zählte die ersten Sterne.
    Ihr Papa warf seine Zigarette auf die Straße. »Nein«, sagte er. »Mick soll noch nicht zu viele Pflichten haben, solang sie so jung ist. Sie soll erst mal richtig erwachsen werden.«
    »Ganz meine Ansicht«, pflichtete Hazel bei. »Ich fänd’s wirklich falsch, wenn Mick jetzt schon regelmäßig arbeiten müsste. Das wär nicht richtig.«
    Bill nahm Ralph vom Schoß und stellte ihn auf die Erde. »Unter sechzehn sollte keiner arbeiten müssen. Mick soll noch die zwei Jahre bis zum Abschluss auf die Schule gehn – falls wir uns das leisten können.«
    »Und wenn wir das Haus aufgeben und ins Fabrikviertel ziehn«, meinte ihre Mama. »Ich möchte Mick lieber noch eine Weile zu Hause haben.«
    Sie hatte einen Moment lang befürchtet, alle würden sie drängen, die Stelle anzunehmen. Dann hätte sie gesagt, sie würde von zu Hause weglaufen. Jetzt war sie sehr gerührt. Ganz aufgeregt war sie. Alle sprachen von ihr – und so freundlich. Sie schämte sich dafür, dass sie zunächst Angst gehabt hatte. Ganz plötzlich liebte sie die ganze Familie so, dass es ihr die Kehle zusammenschnürte.
    »Wie viel Geld kriegt man denn da?«, fragte sie.
    »Zehn Dollar.«
    »Zehn Dollar in der Woche?«
    »Klar«, sagte Hazel. »Dachtest du, im Monat?«
    »Portia verdient noch nicht mal so viel.«
    »Na ja – Farbige…«, sagte Hazel.
    Mick rieb sich den Kopf mit der Faust. »’ne Menge Geld. ’ne ganz schöne Menge.«
    »Nicht zu verachten«, sagte Bill. »Ich krieg auch nicht mehr.«
    Micks Zunge fühlte sich trocken an. Sie bewegte sie im Mund hin und her, um Speichel zum Reden zu sammeln. »Für zehn Dollar in der Woche kann man ungefähr fünfzehn Brathühner kaufen. Oder fünf Paar Schuhe oder fünf Kleider. Oder ein Radio auf Raten.« Sie dachte an ein Klavier, aber das sagte sie nicht.
    »Es würde uns über den Berg helfen«, sagte ihre Mama. »Aber nein, ich möchte Mick lieber noch eine Weile im Haus haben. Na ja, wenn Etta wieder…«
    »Halt!« Ihr Kopf glühte, und sie fühlte sich sehr wagemutig. »Ich nehm die Stelle an. Ich werd’s schon können. Ich weiß, dass ich das kann.«
    »Hört euch nur unsre kleine Mick an«, sagte Bill.
    Ihr Papa stocherte mit einem Streichholz in den Zähnen und nahm die Füße von der Brüstung. »Na, wir wollen nichts überstürzen. Mick soll sich Zeit lassen und sich die Sache gründlich überlegen. Irgendwie kommen wir schon durch, auch wenn sie nicht arbeitet. Mit der Uhrmacherei werd ich sechzig Prozent mehr verdienen, sobald…«
    »Eins hab ich noch vergessen«, warf Hazel ein. »Soviel ich weiß, gibt’s jedes Jahr ’ne Weihnachtsgratifikation.«
    Mick runzelte die Stirn. »Zu Weihnachten arbeite ich aber nicht. Dann bin ich wieder in der Schule. Ich will bloß die Ferien durch arbeiten und dann zurück in die Schule.«
    »Na klar«, sagte Hazel schnell.
    »Aber morgen geh ich mit dir hin, und wenn ich die Stelle kriegen kann, nehm ich sie.«
    Es war, als wäre ihnen eine

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