Das Herz ist ein einsamer Jäger (German Edition)
Straße Männer dicht an ihm vorbei; sie redeten eintönig miteinander und wirbelten mit jedem Schritt eine Staubwolke auf. Oder ein paar Mädchen gingen vorüber, oder eine Mutter mit einem Kind auf dem Arm. Jake blieb eine Zeitlang wie betäubt sitzen. Schließlich kam er wieder auf die Beine und lief weiter.
Die Weavers Lane war dunkel. Durch Türen und Fenster sah man die gelb flackernden Lichtringe der Petroleumlampen. Manche Häuser waren ganz dunkel, und die Bewohner saßen, nur vom Widerschein des Nachbarhauses beleuchtet, auf den Eingangstreppen. Eine Frau beugte sich aus dem Fenster und schüttete einen Eimer Schmutzwasser auf die Straße. Ein paar Tropfen spritzten Jake ins Gesicht. Aus einigen Hinterfenstern schrillten ärgerliche Stimmen. Aus anderen war das friedliche Klacken eines Schaukelstuhls zu hören.
Jake blieb bei einem Haus stehen, vor dem drei Männer saßen. Zwei waren barfuß und trugen Overalls, aber keine Hemden – groß und schlaksig der eine, der zweite klein, mit einer nässenden Wunde im Mundwinkel. Der dritte trug Hemd und Hose. Auf seinen Knien lag ein Strohhut.
»’n Abend«, sagte Jake.
Die drei Arbeiter starrten ihn aus ihren grauen, ausdruckslosen Gesichtern an. Sie murmelten etwas, rührten sich aber nicht. Jake zog das Päckchen Target aus der Tasche und ließ es herumgehen. Er setzte sich auf die unterste Stufe und zog sich die Schuhe aus. Der kühle, feuchte Boden tat seinen Füßen gut.
»Habt ihr Arbeit?«
»Ja-a«, sagte der Mann mit dem Strohhut. »Meistens.«
Jake fingerte an seinen Zehen herum. »Ich hab ’ne Erleuchtung gehabt«, sagte er. »Die möcht ichjemand verkünden.«
Die Männer grinsten. Von der anderen Straßenseite hörte man eine Frau singen. Der Zigarettenrauch blieb vor ihnen in der reglosen Luft hängen. Ein Bengel kam die Straße herunter, blieb stehen und öffnete seinen Hosenschlitz, um Wasser zu lassen.
»Gleich um die Ecke ist ein Zelt, und heut ist Sonntag«, sagte endlich der Kleine. »Da kannst du hingehn und all deine Erleuchtungen verkünden.«
»So was ist es nicht. Was viel Besseres. Die Wahrheit.«
»Was für ’ne Wahrheit?«
Jake sog an seinem Schnurrbart und antwortete nicht. Nach einer Weile fragte er: »Hat’s hier mal einen Streik gegeben?«
»Einmal«, sagte der Große. »Vor ungefähr sechs Jahren haben sie hier mal gestreikt.«
»Und wie war das?«
Der Mann mit der Wunde am Mund rieb seine Füße aneinander und warf seinen Zigarettenstummel weg. »Na ja – sie stellten einfach die Arbeit ein, weil sie zwanzig Cent die Stunde haben wollten. Waren so ungefähr dreihundert, die mitgemacht haben. Standen den ganzen Tag auf der Straße rum. Da hat die Fabrik Wagen rausgeschickt, und nach einer Woche wimmelte die ganze Stadt von Leuten, die hier arbeiten wollten.«
Jake drehte sich um und schaute sie an. Die Männer saßen zwei Stufen über ihm; er musste den Kopf verdrehen, um ihnen in die Augen zu sehen. »Da muss man ja wütend werden, oder?«, fragte er.
»Wie meinst du das – wütend?«
Die Ader auf Jakes Stirn trat dunkelrot hervor. »Himmelherrgott – Mann! Wütend halt – wütend – wütend !« Er blickte finster in ihre verdutzten blässlichen Gesichter. Hinter ihnen konnte er durch die offene Tür ins Haus sehen. Im Vorderzimmer standen drei Betten und ein Waschtisch. Im Hinterzimmer schlief auf einem Stuhl eine barfüßige Frau. Auf einer dunklen Veranda nebenan wurde Gitarre gespielt.
»Ich bin auch mit so ’nem Lastwagen gekommen«, sagte der Große.
»Ist ja ganz egal. Ich will euch was sagen, ’ne ganz klare, einfache Sache: Die Mistkerle, denen die Fabriken gehören, sind Millionäre, aber die Spinnereiarbeiter und die Wollkämmer und alle, die an den Maschinen stehn und das Zeug spinnen und weben, die verdienen nicht mal genug, um das Magenknurren wegzukriegen. Verstanden? Also – wenn ihr auf der Straße die hungrigen, kaputten Leute seht und die mageren Gören, werdet ihr da nicht wütend? Wirklich nicht?«
Jakes Gesicht war dunkelrot angelaufen, seine Lippen zitterten. Die drei Männer sahen ihn gespannt an. Dann begann der mit dem Strohhut zu lachen.
»Lacht nur, lacht nur. Sitzt nur da und lacht, bis ihr platzt.«
Die Männer lachten unbekümmert weiter, wie eben drei Männer einen vierten auslachen. Jake wischte sich den Staub vonden Fußsohlen und zog die Schuhe wieder an. Er hatte die Fäuste geballt und den Mund hämisch zusammengepresst. »Lachen – das ist alles, was ihr
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