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Das Herz ist ein einsamer Jäger (German Edition)

Das Herz ist ein einsamer Jäger (German Edition)

Titel: Das Herz ist ein einsamer Jäger (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carson McCullers
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hinter dem größten Wagen.«
    Während er über den Rasen ging, band Jake seinen Schlips ab und stopfte ihn in die Tasche. Im Westen ging bereits die Sonne unter. Über den dunklen Dächern leuchtete der Himmel in sattem Karminrot. Der Betreiber des Rummelplatzes war allein und rauchte eine Zigarette. Sein rotes Haar saß wie ein Schwamm auf seinem Schädel; er starrte Jake aus schläfrigen grauen Augen an.
    »Sind Sie der Chef?«
    »Hm-m. Patterson mein Name.«
    »Ich komme wegen der Anzeige in der Morgenzeitung.«
    »Aha. Anfänger kann ich nicht brauchen. Ich brauch ’nen erfahrenen Mechaniker.«
    »Ich hab ’ne Menge Erfahrung.«
    »Was haben Sie denn gemacht?«
    »Ich hab gewebt und Webstühle repariert. Ich hab als Verkäufer und Mechaniker in Autowerkstätten gearbeitet. Alles Mögliche.«
    Patterson führte ihn zu dem halbverdeckten Karussell. In der Spätnachmittagssonne sahen die reglosen Holzpferde unwirklich aus. Sie waren auf matte Goldstangen gespießt. Das Pferd neben Jake hatte einen splittrigen Sprung in seinem schäbigen Rumpf, es glotzte blind-erschreckt drein, die Farbe in den Augenhöhlen war abgeblättert. Das unbewegte Karussell kam Jake so vor, als wäre es einem seiner Schnapsträume entsprungen.
    »Ich brauch einen erfahrenen Mechaniker, der das hier bedient und in Schuss hält«, sagte Patterson.
    »Kann ich machen.«
    »Es handelt sich um zwei Sachen«, erklärte Patterson. »Sie sind für die ganze Chose verantwortlich. Erstens haben Sie dafür zu sorgen, dass der Apparat läuft, außerdem müssen Sie auf die Leute aufpassen. Es darf keiner fahren, ohne zu zahlen. Und Sie müssen darauf achten, dass sie die richtigen Billetts haben und nicht irgend ’nen alten Wisch vom letzten Tanzabend. Die sind ganz versessen auf die Pferde. Sie werden sich noch wundern, was die Nigger Ihnen da alles statt Geld in die Hand drücken. Da muss man höllisch aufpassen.«
    Patterson zeigte ihm die verschiedenen Teile der Maschinerie in der Mitte des Karussells. Er legte einen Hebel um, und mit dünnem Geklingel setzte die mechanische Musik ein. Die hölzerne Kavalkade ringsum trennte sie vom Rest der Welt. Als die Pferde wieder stillstanden, stellte Jake noch einige Fragen, und dann bediente er selber den Mechanismus.
    »Der Mann, den ich vorher hatte, hat mich im Stich gelassen«, sagte Patterson, als sie wieder auf dem Platz standen. »Grässlich, immer wieder jemand anzulernen.«
    »Wann soll ich anfangen?«
    »Morgen Nachmittag. Wir arbeiten sechs Nachmittage und Abende in der Woche, immer von vier bis zwölf. Sie kommen gegen drei und helfen alles in Gang bringen. Und abends dauert’s dann ungefähr noch ’ne Stunde, bis alles für die Nacht parat ist.«
    »Was zahlen Sie?«
    »Zwölf Dollar.«
    Jake nickte, und Patterson streckte ihm seine weiche weiße Hand hin.
    Es war spät, als er den Platz verließ. Der grellblaue Himmel war blass geworden, und im Osten stand ein fahler Mond. In der staubigen Luft verschwammen die Umrisse der Häuser. Jake ging nicht direkt durch die Weavers Lane zurück, sondern wanderte noch etwas in der Umgebung herum. Hin und wieder, wenn er aus der Ferne eine Stimme hörte oder etwas Ungewöhnliches roch, blieb er stehen. Er ging einfach drauflos, bald hierhin, bald dorthin. Sein Kopf fühlte sich ganz leicht an, als wäre er aus dünnem Glas. In ihm vollzog sich ein chemischer Prozess. All die Biere und Whiskys, die er unaufhörlich in sich hineingekippt hatte, taten jetzt ihre Wirkung. Wie im Rausch wankte er von einer Seite zur anderen. Die Straßen, die vorhin so tot schienen, waren nun voller Leben. Es kam ihm vor, als bewege sich der struppige Grasstreifen am Straßenrand auf ihn zu. Er setzte sich ins Gras und lehnte sich an einen Telefonmast. Er machte es sich bequem, kreuzte die Beine und strich seinen Schnurrbart glatt. Und verträumt erzählte er sich selbst, was ihm gerade durch den Kopf ging.
    »Empörung ist die köstlichste Blüte der Armut. Jaja.«
    Es tat gut, so zu reden. Der Klang seiner Stimme machte ihm Freude. Die Töne schienen in der Luft hängenzubleiben und sich zu verdoppeln, wie bei einem Echo. Er schluckte und sammelte Speichel, um weiterzusprechen. Plötzlich wünschte er sich, wieder bei dem Taubstummen in dem stillen Zimmer zu sein und ihm von seinen Gedanken zu erzählen. Schon kurios, dass man sich wünschte, mit einem Taubstummen zu reden. Aber er war sehr einsam.
    Mit dem Abend kam die Dunkelheit. Manchmal liefen auf der engen

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