Das Herz ist ein einsamer Jäger (German Edition)
»Portia«, rief sie, »Highboy und Willie warten auf dich!«
Aus der Küche antwortete eine weiche Stimme: »Brauchst nicht so zu schreien. Weiß ich doch schon. Ich setz bloß noch meinen Hut auf.«
Jake entrollte den Overall, bevor er ihn wegwarf. Er starrte vor Schmutz. Ein Hosenbein war zerrissen und hatte vorn ein paar Blutflecken. Er warf den Anzug in den Mülleimer. Eine junge Negerin kam aus dem Haus und gesellte sich zu den beiden weißgekleideten Burschen auf den Stufen. Jake merkte, dass das Mädchen in den Jungshosen ihn eingehend musterte. Sie trat von einem Fuß auf den anderen und schien sehr aufgeregt.
»Sind Sie mit Mister Singer verwandt?«, fragte sie.
»Kein bisschen.«
»Gut befreundet?«
»Gut genug, um bei ihm zu übernachten.«
»Ich hab mir grad überlegt…«
»Wo geht’s zur Hauptstraße?«
Sie zeigte nach rechts. »Da, zwei Blocks runter.«
Jake glättete mit den Fingern seinen Schnurrbart und machte sich auf den Weg. Er klimperte mit den fünfundsiebzig Cent in der Hand und biss sich auf die Unterlippe, bis sie rot und wund war. Die drei Schwarzen gingen langsam vor ihm her und sprachen miteinander. Weil er sich in der unbekannten Stadt allein fühlte, hielt er sich dicht hinter ihnen und lauschte ihrem Gespräch. Das Mädchen hatte die Männer untergehakt. Sie trug ein grünes Kleid, dazu einen roten Hut und rote Schuhe. Die beiden Männer liefen sehr dicht neben ihr.
»Was machen wir heute Abend?«, fragte sie.
»Hängt ganz von dir ab, Honey«, sagte der Große. »Willie und ich, wir haben nichts Besonderes vor.«
Sie blickte von einem zum andern. »Ihr müsst bestimmen.«
»Gut…«, sagte der Kleinere mit den roten Socken. »Highboy und ich dachten, v-vielleicht können wir alle drei in die Kirche gehn.«
»Okay«, sang das Mädchen in drei verschiedenen Tönen. »Und für nach der Kirche hab ich ’ne Idee: Ich sollte zu Vater gehn und ein Weilchen bei ihm sitzen – nur ein kurzes Weilchen.« Sie bogen um die nächste Ecke. Jake blieb stehen und sah ihnen nach; dann ging er weiter geradeaus.
Es war sehr still und heiß auf der Hauptstraße, kaum jemand war zu sehen. Erst jetzt fiel ihm ein, dass heute Sonntag war – ein trauriger Gedanke. Die Markisen vor den geschlossenen Läden waren hochgezogen, und die Häuser standen kahl im grellen Sonnenlicht. Er kam am Café New York vorbei. Die Tür stand offen, drinnen aber sah es leer und dunkel aus. Er hatte heute früh keine Socken gefunden, und das heiße Pflaster brannte durch seine dünnen Schuhsohlen. Sein Kopf fühlte sich an, als würde jemand ein glühendes Stück Eisen darauf drücken. Die Stadt erschien ihm trostloser als jeder andere Ort, den er kannte. Sehr merkwürdig – diese Stille auf den Straßen. Gestern in volltrunkenem Zustand war ihm alles heftig lärmend vorgekommen. Nun aber wirkte alles wie in der Bewegung erstarrt.
Er ging in einen Obst- und Süßwarenladen, um eine Zeitung zu kaufen. Die Spalte mit den Stellenangeboten war sehr kurz: Häufig wurden junge Leute zwischen fünfundzwanzig und vierzig gesucht, Leute mit Auto, Handelsvertreter. Diese Anzeigen übersprang er rasch. Einige Minuten lang brütete er über einer Anzeige, in der ein Lastwagenfahrer gesucht wurde. Aber die letzte Anzeige interessierte ihn am meisten:
Erfahrener Mechaniker gesucht. Sunny Dixie Show, Ecke Weavers Lane und 15th Street.
Unwillkürlich war er wieder zu dem Lokal gegangen, in dem er sich die letzten vierzehn Tage aufgehalten hatte. Außer dem Obstladen war es das einzige Geschäft im Block, das nicht geschlossen hatte. Jake entschied sich, Biff Brannon aufzusuchen.
Nach der Helligkeit draußen wirkte das Café sehr dunkel. Alles sah schäbiger und ruhiger aus, als er es in Erinnerung hatte. Brannon stand wie immer, die Arme über der Brust verschränkt, hinter der Registrierkasse. Seine gutaussehende mollige Frau saß am anderen Ende des Tresens und feilte sich die Nägel. Jake bemerkte, dass die beiden sich einen Blick zuwarfen, als er eintrat.
»Tag«, sagte Brannon.
Jake fühlte, dass etwas in der Luft lag. Vielleicht lachte der Kerl, weil er an irgendwas dachte, was gestern passiert war. Jake stand mürrisch und hölzern da. »Päckchen Target, bitte.« Als Brannon den Tabak unter der Theke hervorholte, stellte Jake fest, dass er doch nicht lachte. Am Tag war sein Gesicht bloß nicht so verkniffen wie abends. Er war blass, als hätte er nicht geschlafen, sein Blick ähnelte dem eines müden
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