Das Herz ist ein einsamer Jäger (German Edition)
Hotelzimmer reserviert und noch länger seine Eisenbahnkarte in einem Umschlag in der Tasche gehabt.
Antonapoulos war unverändert. Als Singer sein Zimmer betrat, kam er dem Freund gelassen entgegen. Er war etwas dicker geworden, hatte aber immer noch das alte verträumte Lächeln. Auf dem Arm trug Singer ein paar Päckchen, denen der erste Blick des dicken Griechen galt. Singer hatte ihm einen feuerroten Hausmantel, weiße Hausschuhe und zwei Nachthemden mit eingesticktem Monogramm mitgebracht. Antonapoulos schaute sorgfältig nach, ob unter dem Seidenpapier in den Schachteln Leckereien versteckt waren. Als er nichts dergleichen fand, warf er die Geschenke verächtlich aufsBett und kümmerte sich nicht weiter darum.
Das Zimmer war groß und sonnig. Mehrere Betten standen nebeneinander. In einer Ecke spielten drei alte Männer Karten. Sie nahmen keinerlei Notiz von Singer und Antonapoulos; die beiden Freunde saßen allein auf der anderen Seite des Raumes.
Singer kam es so vor, als wären seit ihrem letzten Beisammensein Jahre vergangen. Es gab so viel zu erzählen, dass seine Hände gar nicht hinterherkamen. Seine grünen Augen funkelten, seine Stirn glänzte von Schweiß. Das alte Glücksgefühl war so schnell wieder in ihm, dass er sich nicht zurückhalten konnte.
Antonapoulos sah den Freund mit seinen dunklen Samtaugen an und zeigte keine Regung. Nur seine Hände nestelten träg am Hosenschlitz herum. Singer erzählte ihm auch von den Leuten, die ihn besuchten. Er sagte seinem Freund, sie würden ihn von seiner Einsamkeit ablenken. Merkwürdige Menschen seien das, so erzählte er, immerzu redeten sie – aber er freue sich doch, wenn sie kämen. Mit ein paar Strichen skizzierte er Jake Blount, Mick und Doktor Copeland. Er merkte, dass Antonapoulos sich nicht dafür interessierte, zerknüllte die Blätter und vergaß sie wieder. Als der Wärter hereinkam und das Ende der Besuchszeit ankündigte, hatte Singer nicht die Hälfte von dem erzählt, was er eigentlich hatte sagen wollen. Müde, aber sehr glücklich ging er fort.
Die Patienten durften nur donnerstags und sonntags Besuch empfangen. An den Tagen, an denen er nicht bei Antonapoulos sein konnte, wanderte Singer in seinem Hotelzimmer auf und ab. Sein zweiter Besuch bei dem Freund verlief wie der erste, nur dass die alten Männer im Zimmer diesmal nicht Karten spielten, sondern sie teilnahmslos anschauten.
Nach langem Bemühen erreichte Singer es schließlich, dass Antonapoulos für ein paar Stunden Ausgangserlaubnis erhielt. Bis ins Detail plante Singer das Programm für ihren kleinen Ausflug. Zuerst fuhren sie im Taxi aufs Land. Um halb fünf gingen sie in den Speisesaal von Singers Hotel. Antonapoulos genoss diese Extramahlzeit sehr. Er bestellte die Hälfte der Gerichte, die auf der Speisekarte geführt wurden, und fiel gierig darüber her. Nach dem Essen wollte er nicht fortgehen, sondern am Tisch sitzen bleiben. Singer redete ihm gut zu, der Taxifahrer wollte sogar Gewalt anwenden – aber Antonapoulos blieb stur sitzen und machte, sobald sie ihm zu nahe kamen, unanständige Gesten. Schließlich kaufte Singer eine Flasche Whisky und lockte ihn damit ins Taxi. Als Singer dann die ungeöffnete Flasche aus dem Fenster warf, weinte Antonapoulos vor Wut und Enttäuschung. Das Ende ihres kleinen Ausflugs machte Singer sehr traurig.
Sein nächster Besuch war der letzte, denn sein vierzehntägiger Urlaub war fast vorbei. Antonapoulos hatte den Vorfall schon wieder vergessen. Wieder saßen sie in ihrer Zimmerecke. Die Minuten verrannen rasch. Singers Hände redeten verzweifelt, und sein schmales Gesicht war sehr blass. Schließlich war es Zeit zum Gehen. Er ergriff den Arm seines Freundes und sah ihm ins Gesicht, so wie er es früher täglich getan hatte, wenn sie sich vor der Arbeit trennten. Antonapoulos starrte ihn schläfrig an und rührte sich nicht. Singer ging, die Hände fest in die Taschen gebohrt, aus dem Zimmer.
Bald nach Singers Rückkehr stellten sich Mick, Jake Blount und Doktor Copeland wieder bei ihm ein. Jeder wollte wissen, wo er gewesen sei und warum er nichts von seinen Plänen verraten habe. Aber Singer tat so, als verstünde er ihre Fragen nicht. Sein Lächeln war unergründlich.
Einer nach dem andern kamen sie zu Singer und verbrachten den Abend mit ihm. Der Taubstumme war immer nachdenklich und gelassen. Seine sanften Augen mit den farbigen Pünktchen waren ernst wie die eines Zauberers. Mick Kelly, Jake Blount und Doktor Copeland
Weitere Kostenlose Bücher