Das Herz ist ein einsamer Jäger (German Edition)
komisches Gefühl. Ihr Papa nahm eine Uhrfeder in die Hand, tauchte einen Pinsel in Benzin und begann sie zu säubern.
»Ich weiß, du hast’s eilig. Ich wollte dir bloß mal guten Abend sagen.«
»Ach wo, ich hab’s gar nicht eilig«, sagte sie. »Ehrenwort.«
An diesem Abend setzte sie sich auf den Stuhl neben seiner Werkbank, und sie unterhielten sich miteinander. Er redete von Rechnungen und Ausgaben und davon, wie alles geworden wäre, wenn er’s anders angepackt hätte. Er trank sein Bier, und einmal traten ihm die Tränen in die Augen, und er wischte sich mit dem Hemdsärmel über die Nase. Sie blieb an diesem Abend ziemlich lange bei ihm. Und das, obwohl sie es eigentlich so schrecklich eilig hatte. Aber von dem, was sie im Kopf hatte – von den heißen, dunklen Nächten – konnte sie ihm doch nicht erzählen.
Diese Nächte waren ihr Geheimnis; das waren die wichtigsten Stunden dieses Sommers. Sie ging allein durch die Dunkelheit, und es war, als wäre sie der einzige Mensch in der Stadt. Bei Nacht war ihr fast jede Straße so vertraut wie der Block, in dem sie wohnte. Manche Kinder hatten Angst, im Dunkeln durch fremde Straßen zu gehen – sie nicht. Die Mädchen fürchteten sich, irgendwoher könnte ein Mann kommen und sein Dings in sie reinstecken, wie wenn sie verheiratet wären. Die meisten Mädchen waren halt dämlich. Wenn einer sie plötzlich überfallen und sich mit ihr prügeln wollte, einer, der so groß wie Joe Louis oder wie Mountain Man Dean war – dann würde sie wegrennen. Wenn es aber einer wäre, der höchstens zwanzig Pfund schwerer war als sie – den würde sie verdreschen und dann einfach weitergehen.
Die Nächte waren wunderbar; sie hatte gar keine Zeit, an Angst oder so etwas zu denken. Wenn es dunkel um sie herum war, dachte sie an Musik. Während sie durch die Straßen ging, sang sie vor sich hin. Und sie spürte, wie die ganze Stadt ihr zuhörte, aber keiner wusste, dass es Mick Kelly war, die da sang.
Sie lernte allerlei Musik kennen in diesen Sommernächten. Draußen in den reichen Stadtteilen stand in jedem Haus ein Radio. Alle Fenster waren offen, so dass sie die Musik großartig hören konnte. Nach einiger Zeit wusste sie, wo die Programme liefen, die sie mochte. Da gab es vor allem ein Haus, wo alle guten Orchesterkonzerte liefen. Sie stahl sich in den dunklen Garten und hörte zu. Das Haus war von schönen Büschen umgeben, und sie saß unter einem Strauch, dicht am Fenster. Wenn dann alles vorbei war, stand sie, die Hände in den Taschen, in dem dunklen Garten und dachte lange nach. Das war für sie der wirklichste Teil dieses Sommers – wenn sie der Musik aus dem Radio lauschte und darüber nachdachte.
»Cerra la puerta, señor«,sagte Mick.
Bubber ließ sich nicht aus der Fassung bringen. »Haga me usted el favor, señorita«, antwortete er wie aus der Pistole geschossen.
Die Spanischstunden in der Highschool waren eine tolle Sache. Eine fremde Sprache sprechen – das war ein bisschen so, als wäre man schon in der Welt herumgekommen. Seit dem Schulbeginn ging sie jeden Nachmittag dorthin, und es machte einen Heidenspaß, diese neuen spanischen Wörter und Sätze zu sprechen. Zuerst war Bubber ganz verdutzt – zu komisch sein Gesicht, wenn sie in der fremden Sprache redete. Aber er kam blitzschnell dahinter, und bald konnte er ihr alles nachplappern. Und er merkte sich jedes Wort. Natürlich wusste er nicht von allen Sätzen, was sie bedeuteten, aber auf die Bedeutung kam es ihr sowieso nicht an. Der Kleine lernte so schnell, dass sie bald nicht mehr Spanisch mit ihm redete, sondern einfach erfundene Laute vor sich hinplapperte. Das bekam er allerdings sehr schnell heraus – Bubber Kelly ließ sich nichts vormachen.
»Ich werd jetzt so tun, als käme ich zum ersten Mal in dieses Haus«, sagte Mick. »Dann seh ich besser, ob die Dekoration so gut ist.« Sie ging auf die Veranda, kam wieder zurück und stellte sich in die Diele. Den ganzen Tag hatte sie mit Bubber, Portia und Paps die Diele und das Esszimmer für die Party hergerichtet. Die Dekoration bestand aus Herbstlaub, Weinranken und rotem Krepppapier. Der Kaminsims im Esszimmer und die Garderobe waren mit leuchtend gelben Blättern geschmückt. An den Wänden entlang und über den Tisch, auf dem die Bowle stehen würde, hatten sie Weinranken gezogen. Lange, rote Krepppapierschlangen rankten sich um die Stuhllehnen und hingen vom Kamin herab. Sie hatten genügend Schmuck. Es war in Ordnung.
Mick
Weitere Kostenlose Bücher