Das Herz ist ein einsamer Jäger (German Edition)
ihm den Becher hinhielt. Im Esszimmer servierte Portia gerade die Brötchen. Nach fünf Minuten war alles aufgegessen. Sie erwischte nur ein einziges, mit roter Marmelade, das schon aufgeweicht war.
Portia blieb im Esszimmer und betrachtete das Treiben. »Ich geh nicht weg, macht mir zu viel Spaß«, sagte sie. »Ich hab Highboy und Willie sagen lassen, sie sollen sich heute ohne mich amüsieren. Alle sind so aufgeregt, da muss ich doch bis zum Ende dableiben.«
Aufgeregt – das war das richtige Wort. Mick spürte es überall im Zimmer, auf der Veranda und auf der Straße. Sie selber war auch aufgeregt. Es war nicht nur das Kleid und ihr schön zurechtgemachtes Gesicht, wenn sie am Garderobenspiegel vorbeiging und sich mit den rotgeschminkten Backen und dem Strassdiadem im Haar sah. Vielleicht war es die Dekoration und dieses Durcheinander von verschiedenen Leuten.
»Sieh mal, wie die rennt!«
»Halt! Hör auf damit!«
»Reiß dich mal zusammen!«
Eine ganze Horde Mädchen rannte mit fliegenden Haaren, die Kleider hochgerafft, die Straße hinunter. Ein paar Jungs hatten die pfeilscharfen Blätter vom spanischen Bajonettbaum abgeschnitten und trieben die Mädchen damit vor sich her. Obwohl sie schon in der Highschool waren und richtig feine Kleider anhatten, benahmen sie sich wie die Kinder. Es war zur Hälfte Spiel und zur Hälfte etwas ganz anderes. Ein Junge kam mit einem Stock auf sie zu, da begann auch sie zu rennen.
Von einer Party konnte nun keine Rede mehr sein. Sie spielten einfach draußen auf der Straße wie sonst auch. Es war die wildeste Nacht, die sie je erlebt hatte. Daran waren die Nachbarskinder schuld. Sie waren wie eine ansteckende Krankheit. Als sie auf der Party aufgetaucht waren, hatten alle anderen vergessen, dass sie auf die höhere Schule gingen und fast erwachsen waren. Wie wenn man nachmittags baden sollte und sich vorher hinten im Garten herumwälzte und ganz dreckig machte, bloß weil es sich so gut anfühlte, bevor man ein Bad nahm. Alle waren nur noch wilde Kinder an diesem Samstagabend – und sie war das wildeste von allen.
Sie schrie und knuffte und war für jeden neuen Streich als Erste zu haben. Sie lärmte und tobte dermaßen, dass sie gar nicht merkte, was die anderen machten. Sie konnte gar nicht schnell genug Luft holen, um so herumzutollen, wie sie wollte.
»Zum Graben unten an der Straße! Los! Zum Graben!«
Sie rannte als Erste los. Beim nächsten Block wurden neue Rohre verlegt; da war ein toller tiefer Graben ausgehoben. Die Markierungslichter leuchteten rot im Dunkeln. Sie nahm sich keine Zeit zum Klettern. Sie rannte zu den flackernden Lichtern und sprang einfach.
In Turnschuhen wäre sie wie eine Katze hinübergekommen – aber mit den Stöckelschuhen rutschte sie aus und landete bäuchlings unten auf dem Rohr. Die Luft blieb ihr weg. Sie lag still mit geschlossenen Augen da.
Die Party… Lange dachte sie darüber nach, wie sie sich die Party vorgestellt hatte und all die neuen Leute auf der Highschool. An die Clique dachte sie, mit der sie jeden Tag hatte zusammen sein wollen. Nun würde es anders sein, wenn sie auf dem Korridor auf und ab gingen; die waren ja doch nichts Besonderes, sondern genau so wie alle anderen Kinder. Es ging schon in Ordnung, dass die Party ruiniert war. Aber nun war alles vorbei. Jetzt war Schluss.
Mick kletterte aus dem Graben. Ein paar Kinder spielten bei den kleinen Warnlichtern. Ihre Schatten huschten in dem roten Lichtschein hin und her. Ein Junge war nach Hause gelaufen und hatte sich eine Maske geholt, die er für Halloween gekauft hatte. Nichts an der Party hatte sich geändert – außer ihr.
Langsam ging sie nach Hause. Sie sprach nicht mit den Kindern, an denen sie vorbeiging, sie schaute sie nicht einmal an. Die Dekoration in der Diele war heruntergerissen, und das Haus wirkte sehr leer, weil alle draußen waren. Im Badezimmer zog sie das blaue Abendkleid aus. Der Saum war eingerissen. Sie legte das Kleid so zusammen, dass der Riss nicht zu sehen war. Das Strassdiadem hatte sie irgendwo verloren. Ihre alten Shorts und das Hemd lagen noch genauso am Boden, wie sie sie liegengelassen hatte. Sie zog sie an. Aber sie war zu groß, um noch Shorts zu tragen. Nach diesem Abend ging das nicht mehr. Niemals mehr.
Mick ging raus auf die Veranda. Ihr Gesicht war sehr blass ohne die Schminke. Sie legte die Hände trichterförmig vor den Mund und holte tief Luft. »Alles nach Hause gehn! Wir schließen jetzt. Die Party ist
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