Das Herz ist ein einsamer Jäger (German Edition)
begann wieder ins Dunkle zu boxen. Wahrscheinlich sollte sie ihn fragen, warum er das machte.
»Ich sage: Dann is’ ja gut«, wiederholte er.
»Wieso denn?«
»Weil ich die Faschisten hasse. Wenn ich einen auf der Straße treffe, werd ich ihn umbringen.«
Sie sah Harry an. Im Schein der Laterne huschten die Schatten der Blätter auf seinem Gesicht hin und her. Er war ganz aufgeregt.
»Wieso denn?«, fragte sie.
»Herrgott! Liest du denn keine Zeitung? Siehst du, es ist doch so…«
Sie waren jetzt einmal um den Block herumgelaufen. Vor ihrem Haus war irgendetwas los. Die Gäste rannten schreiend auf dem Gehsteig herum. Ihr wurde plötzlich ganz übel.
»Ich kann das nicht so schnell erklären, dazu müssten wir noch mal um den Block gehn. Ist ja kein Geheimnis, warum ich die Faschisten hasse. Ich würde sogar sehr gern darüber reden.«
Wahrscheinlich war das die erste Gelegenheit für ihn, einem anderen seine Ideen anzuvertrauen. Aber sie hatte keine Zeit zum Zuhören. Sie musste nachsehen, was bei ihr zu Hause vor sich ging. »Ist gut. Wir sehn uns später.« Die Promenade war vorbei, also konnte sie sich jetzt mit dem Chaos hier beschäftigen.
Was war geschehen, während sie fort war? Als sie aus dem Haus ging, standen alle fein angezogen herum, wie bei einer richtigen Party. Und jetzt – keine fünf Minuten später – sah es hier eher aus wie in einem Irrenhaus. In ihrer Abwesenheit hatten diese Strolche sich aus dem Dunkel gewagt und waren einfach in die Party hereingeplatzt. So eine Frechheit! Eben stürzte Pete Wells mit einem Becher Bowle in der Hand aus dem Haus. Sie johlten, rannten herum und mischten sich unter die Gäste – in ihren alten, schlabbrigen Hosen und Alltagskleidern.
Baby Wilson war draußen auf der Veranda. Baby war erst vier. Jeder wusste doch, dass sie jetzt wie Bubber zu Hause sein und im Bett liegen musste. Sie nahm vorsichtig eine Stufe nach der anderen und hielt ihre Bowle hoch über den Kopf. Wieso war die überhaupt hier? Mister Brannon war ihr Onkel, und in seinem Lokal konnte sie immer Süßigkeiten und Getränke umsonst haben. Sobald sie unten auf dem Gehsteig angekommen war, packte Mick sie beim Arm. »Du gehst jetzt nach Hause, Baby Wilson. Los, hau ab!« Mick überlegte, was sie sonst noch tun könnte, um für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Sie ging zu Sucker Wells, der, seinen Pappbecher in der Hand, weiter unten auf dem dunklen Gehsteig stand und jeden, der vorbeikam, verträumt ansah. Sucker war sieben; er hatte Shorts an, Brust und Füße waren bloß. Er machte zwar keinen Ärger, aber sie hatte eine Stinkwut wegen der ganzen Angelegenheit.
Sie packte Sucker bei den Schultern und schüttelte ihn. Zuerst hielt er sich ganz tapfer, aber dann begannen seine Zähne zu klappern. »Du gehst jetzt nach Hause, Sucker Wells. Schluss jetzt mit dem Rumgehänge, wo du gar nicht eingeladen bist.« Als sie ihn losließ, ging Sucker langsam und mit eingezogenem Schwanz die Straße hinunter. Aber er ging nicht nach Hause. Sie sah, dass er sich an der nächsten Ecke auf den Bordstein setzte, um von dort aus heimlich das Fest zu beobachten.
Einen Augenblick tat es ihr wohl, dass sie diesen Sucker in Grund und Boden geschüttelt hatte. Aber gleich darauf tat es ihr schrecklich leid, und sie holte ihn wieder zurück. Die großen Kinder waren an allem schuld. Richtige Quälgeister waren das, so eine Unverschämtheit hatte sie noch nie erlebt. Alles auszutrinken und das schöne Fest derart zu verderben. Sie rannten zur Haustür rein und wieder hinaus, sie machten Krach und rauften miteinander. Pete Wells war der Schlimmste von allen. Er hatte seinen Football-Helm auf und rempelte jeden damit an. Pete war fast vierzehn, hing aber immer noch in der siebten Klasse fest. Sie ging auf ihn zu, aber er war zu groß, und sie konnte ihn nicht so schütteln wie Sucker. Als sie ihm sagte, er solle nach Hause gehen, holte er mit dem Kopf nach ihr aus.
»Ich war schon in sechs verschiedenen Staaten. Florida, Alabama…«
»Aus Silberstoff mit ’ner Schärpe…«
Die Party war ruiniert. Alle redeten durcheinander. Die Kinder aus der Highschool hatten sich unter die Nachbarsbande gemischt. Aber immer noch standen die Jungen getrennt von den Mädchen – keine Rede mehr von Promenade. Drin im Haus war die Limonade fast alle. Auf dem Boden der Schüssel war nur noch eine kleine Lache, in der Zitronenschalen schwammen. Ihr Papa war viel zu nett zu den Kindern. Er hatte jedem Bowle gegeben, der
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