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Das Herz ist ein einsamer Jäger (German Edition)

Das Herz ist ein einsamer Jäger (German Edition)

Titel: Das Herz ist ein einsamer Jäger (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carson McCullers
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weißt ganz genau, dass keins von denen an Baby rankommt.«
    Lucile legte die letzte Welle in Babys Haar und kniff ihr in die Bäckchen, damit sie rosiger aussah. Dann hob sie die Kleine vom Tisch. Baby hatte für die Trauerfeier ein weißes Kleid an, dazu weiße Schuhe und Strümpfe, sogar weiße Handschühchen. Wenn Baby sich beobachtet fühlte, legte sie ihren Kopf immer auf eine bestimmte Weise zur Seite. Und genau das machte sie jetzt.
    Eine Weile saßen sie, ohne etwas zu sagen, in der heißen, kleinen Küche. Dann musste Lucile plötzlich weinen. »Wir haben uns ja als Schwestern nie sehr nahe gestanden. Wir waren in vielem verschiedener Meinung und haben uns nicht oft gesehen. Vielleicht weil ich so viel jünger bin als sie. Aber es ist halt doch das eigene Fleisch und Blut, und wenn dann so was passiert…«
    Biff brummte beschwichtigend.
    »Ich weiß, wie’s bei euch war«, sagte sie. »War auch nicht alles rosig zwischen dir und ihr. Aber vielleicht macht’s das ja noch schlimmer für dich.«
    Biff setzte Baby mit einem Schwung auf seine Schultern. Das Kind war schwer geworden. Er hielt sie vorsichtig fest, während er mit ihr ins Wohnzimmer ging. Baby fühlte sich warm und wohlig auf seiner Schulter. Ihr seidenes Röckchen hob sich weiß vor seinem dunklen Anzug ab. Mit ihren Händchen klammerte sie sich an sein rechtes Ohr.
    »Onkel Biff! Guck mal, wie ich Spagat kann!«
    Sanft stellte er Baby auf die Füße. Sie hob die Arme über den Kopf, und ihre Füße glitten auf dem gebohnerten gelben Fußboden langsam auseinander. Im nächsten Augenblick saß sie, ein Bein nach vorn, das andere nach hinten gegrätscht, auf dem Boden. Die Arme theatralisch über dem Kopf gewölbt, blickte sie mit schwermütiger Miene zur Seite.
    Dann richtete sie sich wieder auf. »Guck mal, wie ich Rad schlagen kann. Guck mal, wie ich…«
    »Nicht so laut, Süße«, sagte Lucile. Sie setzte sich zu Biff auf das Plüschsofa. »Erinnert sie dich nicht ’n bisschen an ihn – irgendwas in den Augen und im Gesicht?«
    »Nein, weiß Gott nicht. Ich kann nicht die geringste Ähnlichkeit zwischen Baby und Leroy Wilson entdecken.«
    Lucile sah für ihr Alter viel zu mager und verlebt aus. Vielleicht lag es auch an ihrem schwarzen Kleid oder daran, dass sie geweint hatte.
    »Schließlich lässt sich nicht leugnen, dass er Babys Vater ist«, sagte sie.
    »Kannst du den Mann denn nicht vergessen?«
    »Ich weiß nicht. Wahrscheinlich gibt es da zwei Dinge, bei denen ich immer närrisch gewesen bin: Leroy und Baby.«
    Biffs Bartstoppeln schimmerten bläulich auf seiner blassen Gesichtshaut; seine Stimme klang müde. »Denkst du denn nie eine Sache zu Ende? Ist dir nicht klar, was geschehn ist und was daraus folgt? Denkst du nie logisch: Die und die Tatsachen sind so und so, also folgt daraus das und das?«
    »Bei ihm mache ich das wohl nicht.«
    Biff fuhr erschöpft, mit fast geschlossenen Augen fort: »Du hast diesen Kerl mit siebzehn geheiratet, und von da an hat’s einen Krach nach dem andern zwischen euch gegeben. Du hast dich scheiden lassen. Nach zwei Jahren hast du ihn zum zweiten Mal geheiratet. Und jetzt ist er wieder auf und davon, und du weißt nicht, wo er steckt. Mir scheint, diese Tatsachen sprechen deutlich dafür, dass ihr nicht zueinander passt. Und das ist noch nicht mal so entscheidend wie der Charakter dieses Kerls – die Sorte Mensch, zu der dieser Kerl offenbar gehört.«
    »Weiß der Himmel, mir ist schon lange klar, dass er nichts taugt. Ich hoffe wirklich, dass er nie wieder an diese Tür klopft.«
    »Guck mal, Baby«, sagte Biff hastig. Er verschränkte die Finger und hielt die Hände hoch. »Das ist die Kirche, und das ist der Kirchturm. Jetzt geht die Tür auf, und drin sind lauter fromme Leute.«
    Lucile schüttelte den Kopf. »Du musst dir keine Sorgen machen wegen Baby. Ich erzähl ihr alles. Sie kennt die ganze Sauerei von A bis Z.«
    »Du würdest ihn also aufnehmen, wenn er wiederkommt? Und dich ausbeuten lassen, solang wie er daran Spaß hat – so wie immer?«
    »Ja. Das würd ich wohl. Jedes Mal, wenn die Türklingel geht oder das Telefon, jedes Mal, wenn jemand die Verandastufen raufkommt, dann denkt etwas in mir: Da bist du ja wieder.«
    Biff kehrte die Handflächen nach außen: »Ich sag’s ja.«
    Die Uhr schlug zwei. Das Zimmer war sehr eng und heiß. Baby machte noch ein Rad auf dem gebohnerten Fußboden und noch einen Spagat. Dann nahm Biff sie auf den Schoß. Ihre baumelnden Beinchen schlugen

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