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Das Herz ist ein einsamer Jäger (German Edition)

Das Herz ist ein einsamer Jäger (German Edition)

Titel: Das Herz ist ein einsamer Jäger (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carson McCullers
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erklären. So fragte er Kelly zum Beispiel, wozu die Steine in einer Uhr gut waren. Er bemerkte, dass Kellys rechtes Auge durch die Uhrmacherlupe davor verzerrt wurde. Sie unterhielten sich eine Weile über Chamberlain und München. Da es noch früh am Tag war, entschloss er sich, zu dem Taubstummen hinaufzugehen.
    Singer zog sich gerade für die Arbeit an. Gestern Abend hatte Biff ein Beileidsschreiben von ihm bekommen. Singer sollte einer der Sargträger bei der Trauerfeier sein. Biff setzte sich aufs Bett, und sie rauchten eine Zigarette. Singer sah ihn immer wieder forschend mit seinen grünen Augen an. Er reichte ihm eine Tasse Kaffee. Biff sagte kein Wort. Einmal blieb der Taubstumme vor ihm stehen, klopfte ihm auf die Schulter und schaute ihm einen Augenblick ins Gesicht. Als Singer fertig angezogen war, gingen sie zusammen fort.
    Biff kaufte sich im Laden schwarzes Band und besuchte den Prediger von Alices Kirche. Als alles arrangiert war, ging er wieder nach Hause. Alles in Ordnung bringen – dieser Gedanke ließ ihn nicht los. Er packte Alices Kleidung und ihre Habseligkeiten zusammen, um sie Lucile zu geben. Dann räumte er die Kommodenschubladen auf und säuberte sie sorgfältig. Sogar die Küchenregale ordnete er neu und entfernte die Fähnchen aus buntem Krepppapier von den Ventilatoren. Als das erledigt war, setzte er sich in die Badewanne und seifte sich gründlich ab. Der Vormittag war um.
    Biff biss den Faden ab und strich das schwarze Band auf seinem Jackettärmel glatt. Lucile wartete wohl schon auf ihn. Er würde mit Lucile und Baby im Trauerwagen fahren. Er stellte den Nähkorb beiseite und zupfte das Jackett mit dem Trauerflor an den Schultern zurecht. Bevor er wieder hinausging, überzeugte er sich davon, dass das Zimmer in Ordnung war.
    Eine Stunde später saß er in Luciles kleiner Küche. Er hatte die Beine übergeschlagen und trank, eine Serviette auf den Knien, eine Tasse Tee. Lucile und Alice waren so grundverschieden, dass man sie schwerlich für Schwestern gehalten hätte. Lucile war hager und dunkel, und heute war sie ganz in Schwarz.
    Während sie Babys Haar frisierte, saß die Kleine ganz geduldig, die Hände im Schoß gefaltet, auf dem Küchentisch. In der Küche herrschte stilles, mildes Sonnenlicht.
    »Bartholomew…«, sagte Lucile.
    »Was denn?«
    »Musst du nicht manchmal an die Vergangenheit denken?«
    »Nein«, sagte Biff.
    »Weißt du, bei mir ist das so, als müsste ich mit Scheuklappen leben, damit ich nie zur Seite seh oder zurück in die Vergangenheit. Ich darf weiter nichts denken als: jeden Tag zur Arbeit gehn, Essen kochen, Babys Zukunft.«
    »Ist auch ganz richtig so.«
    »Ich habe Baby im Laden Wasserwellen in die Haare gelegt. Aber sie gehn so schnell wieder raus, ich hab schon gedacht, sie sollte ’ne Dauerwelle haben. Die mache ich aber nicht selber – vielleicht nehm ich sie mit nach Atlanta, wenn ich zur Kosmetikerversammlung fahre, dann kriegt sie da eine.«
    »Um Himmels willen! Sie ist doch grad mal vier. Bestimmt hat sie Angst davor. Außerdem wird das Haar von Dauerwellen ganz strohig.«
    Lucile tauchte den Kamm in ein Glas Wasser und brachte die Löckchen über Babys Ohren in Form. »Ach wo, stimmt gar nicht. Und sie möcht so gern Dauerwellen haben. Baby ist zwar noch klein, aber schon genauso ehrgeizig wie ich. Und das will was heißen.«
    Biff polierte sich die Fingernägel an der Handfläche und schüttelte den Kopf.
    »Wenn ich mit Baby im Kino bin, und wir sehn die kleinen Kinder in all den großen Rollen, dann geht’s ihr genau wie mir, das schwör ich dir, Bartholomew. Ich krieg sie hinterher nicht mal dazu, ihr Abendbrot zu essen.«
    »Du meine Güte!«, sagte Biff.
    »Beim Tanzunterricht kommt sie so schön vorwärts. Nächstes Jahr soll sie mit Klavier anfangen. Wird ihr bestimmt was nützen, wenn sie ein bisschen spielen kann. Ihr Tanzlehrer will sie beim Schülerabend ein Solo tanzen lassen. Ich muss Baby vorwärtsbringen, wo ich nur kann. Je früher ihre Karriere anfängt, umso besser für uns beide.«
    »Um Himmels willen!«
    »Du verstehst das nicht. Ein begabtes Kind kann man nicht so behandeln wie normale Kinder. Deshalb möcht ich auch, dass Baby aus dieser Gegend rauskommt. Ich kann’s nicht zulassen, dass sie so ordinär daherredet und so rumtobt wie die Blagen von nebenan.«
    »Ich kenn die Kinder aus unserm Block«, sagte Biff. »Die sind in Ordnung. Die Kinder von den Kellys gegenüber – der Junge von den Cranes…«
    »Du

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